Die Delegierten des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG) haben heute erfolgreich ihre 108. Jahresversammlung durchgeführt. Gastgeber war die Jüdische Ge-meinde St. Gallen, die dieses Jahr ihr 150-jähriges Bestehen feiert. Zu den Hauptrednern an der Vorabendveranstaltung gehörte Bundespräsident Ueli Maurer. Dieser hat sich für die Lücken in seiner Anfangs Jahr gehaltene Botschaft zum Holocaust-Gedenktag ent-schuldigt. Alfred Bodenheimer, Leiter des Zentrums für Jüdische Studien der Universität Basel, sowie SIG-Präsident Herbert Winter gingen auf das Thema religiöser Werte in der heutigen säkularen Gesellschaft ein. Dieses ist zugleich Schwerpunkt des Kommunikations- und Veranstaltungsprogramms des SIG für die kommenden Monate.
Bundespräsident Ueli Maurer bedauerte in seinem Grusswort das „Nicht-Gesagte“ in seiner Botschaft zum Holocaustgedenktag vom 27. Januar. Der Bundespräsident hatte damals problematische Aspekte der Politik der Schweiz während des Zweiten Weltkrieges nicht erwähnt. Maurer sprach in seiner Rede gestern Abend auch vom Respekt, welchen er der jüdischen Gemeinschaft entgegenbringe. Er würdigte zudem die Bedeutung des SIG, welcher seit vielen Jahrzehnten einen wichtigen Beitrag zur traditionellen kulturellen und religiösen Vielfalt der Schweiz leiste.
SIG-Präsident Herbert Winter bedankte sich bei Ueli Maurer für seine klaren Worte. In seiner Rede betonte Herbert Winter, wie wichtig es gerade auch aus Sicht einer Minderheitsreligion sei, in einer säkularisierten Welt darüber nachzudenken, welche konkrete Bedeutung etwa den zehn Geboten heute noch zukommt. Denn „Religionen finden nur noch am Rande statt. Jedenfalls ist ihnen die breite gesellschaftliche Deutungshoheit über weite Strecken abhandengekommen“. Gleichzeitig sei aber spürbar, wie die Menschen auf der Suche seien. Schleichend bilde sich zudem ein gewisser gesellschaftspolitischer Konsens heraus, möglichst alle Menschen und ihre Kulturen, Religionen und Wertvorstellungen zu assimilieren und Unterschiede „einzumitten“. Die Debatten um Kopftücher, Schwimmunterricht oder die Knaben-Beschneidung seien dafür ein Symptom. Dieses Symptom, so Winter, müsse an der Wurzel bekämpft werden.
Alfred Bodenheimer beleuchtete seinerseits in seiner gestrigen Rede, das Attentat von 11. September 2001 habe dazu beigetragen, dass in Teilen Europas die Säkularisierung in eine Skepsis gegenüber allem Religiösen umschlug. Bodenheimer nannte die Beschneidungsdebatte des vergangenen Jahres als Beispiel der Grenzen, an die bestimmte Religionsgemeinschaften in der Schweiz heute stossen. Zugleich hätte gerade diese Debatte auch aufgezeigt, wie wichtig Religionen in einer säkular geprägten Gesellschaft sind. Nicht die Kompatibilität mit der säkularen Gesellschaft, sondern eine gewisse Widerständigkeit gegen Überzeugungen seien die Werte, die Religionsgemeinschaften der Schweiz vermitteln könnten.
Über das Thema „Religion in der säkularen Gesellschaft“ tauschten sich Delegierte und Gäste an einem Breakfast-Meeting aus. In einem zweiten Breakfast-Meeting wurde zudem über den Umgang der Gemeinden mit interkonfessionellen Ehen diskutiert.
Programmatischer Schwerpunkt: Religiöse Werte in einer säkularen Gesellschaft
Der SIG wird über die kommenden Monate das Thema „Religiöse Werte in einer säkularen Gesellschaft“ als Schwerpunkt und Leitmotiv in sein Programm aufnehmen. Konkret werden in verschiedenen Landesteilen, auch zusammen mit Partnern, Podiumsgespräche organisiert. Bereits am 18. Juni 2013 findet in Zusammenarbeit mit der Basler Zeitung eine erste Podiumsdiskussion im Rahmen des Schwerpunktthemas statt. Es werden der Gastredner des gestrigen Abends Alfred Bodenheimer, Peter Schmid, Vizepräsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes, die Politologin Elham Manea sowie der Unternehmer und Philosoph Werner Kieser miteinander über die Frage „Ist Religion altmodisch?“ diskutieren.
Anfragen: Herbert Winter, Präsident SIG, Tel. 079 206 67 03
Notiz an die Redaktionen: Die Präsidialansprache, Fotos der Veranstaltung sowie Details zum Schwerpunktthema können unter www.swissjews.ch abgerufen werden.