Anfänge

Schon zur Zeit der Römer dürften jüdische Handwerker und Händler in die Schweiz gelangt sein. Mit Ausnahme des Menora-Ringes von Augusta Raurica (vgl. Fact Sheet) gibt es aber hierfür keine archäologischen oder historischen Belege und Quellen. Rheinabwärts in Trier und Köln sind jedoch für das 4. Jahrhundert jüdische Gemeinden belegt, so dass man davon ausgehen kann, dass es auch auf dem Gebiet der späteren Eidgenossenschaft Juden gegeben haben muss.

Mittelalter: Geldhandel und Sündenböcke

In vielen Schweizer Städten sind seit dem 13. und 14. Jahrhundert Juden nachgewiesen. Sie leben dort bis ins 15. Jahrhundert und unterstehen - wie überall in Europa - einem diskriminierenden Sonderrecht, müssen auf Veranlassung des Papstes und der Stadtbehörden unter anderem besondere Kennzeichen an der Kleidung tragen und dürfen nicht Handwerker, Kaufleute oder Bauern sein. Die Juden werden von den Behörden verpflichtet, Geld gegen Zinsen, Pfänder und Bürgen auszuleihen, und sie werden als Sündenböcke für alles Unglück verantwortlich gemacht. In der Pestzeit 1348/49 werden sie vielerorts gefoltert, vertrieben oder umgebracht. Als der Papst den Christen wieder erlaubt, das Geldgeschäft auszuüben, werden die nicht mehr dazu "benötigten" Juden im 15. Jahrhundert auch aus der Schweiz gewiesen.

15.-19. Jahrhundert: Judendörfer

Jüdische Händler werden in diesen Jahrhunderten zwar auf Märkten in der Schweiz zugelassen, dürfen sich aber nur in Randgebieten niederlassen, so etwa im zum Bistum Basel gehörenden Dorneck und seit dem 17. Jahrhundert im Surbtal in der Grafschaft Baden. Als „gemeine Herrschaft“ zählt die Grafschaft Baden nominell nicht zu den Orten der Eidgenossenschaft, sondern wird von den Kantonen gemeinsam verwaltet. Die Niederlassung wird schliesslich auf die „Judendörfer“ Endingen und Lengnau beschränkt, zwei Dörfer östlich von Baden im heutigen Kanton Aargau. Dort lassen sie sich andauernd nieder und bilden Gemeinden. Ihr Aufenthaltsrecht müssen sie sich beim eidgenössischen Landvogt erkaufen, und sie bleiben weiterhin von Handwerk und Landwirtschaft ausgeschlossen. Neben einigen Vieh- und Pferdehändlern fristen die meisten als Kleinhändler und Hausierer ein armseliges Leben. In der Ausübung der Religion sind sie hingegen frei, können Synagogen bauen und einen Friedhof anlegen. Um 1850 leben 1'500 jüdische Menschen in den beiden Dörfern.

19. Jahrhundert: Emanzipation und modernes Schweizer Judentum

Die Helvetik 1798 und auch der moderne Bundesstaat von 1848 bringen der jüdischen Bevölkerung in der Schweiz nicht die ersehnte Gleichberechtigung. Erst mit den Revisionen der Bundesverfassung von 1866 und 1874 erhalten die jüdischen Bürger die gleichen Rechte und Pflichten wie ihre christlichen Mitbürger. Zum ersten Mal dürfen sie Wohnort und Beruf frei wählen und ohne diskriminierende Sondervorschriften leben. In rund 20 Orten entstehen jüdische Kultusgemeinden, und die Juden integrieren sich gerne und schnell in den schweizerischen Alltag. Ausgehend von den alteingesessen Juden aus Endingen und Lengnau wächst die jüdische Bevölkerung durch Zuwanderung aus den umliegenden Ländern und Osteuropa bis zum ersten Weltkrieg auf 20'000 Personen an.

1920-45: Verunsicherung und Bedrohung

Die Schweizer Juden werden durch den Antisemitismus im In- und Ausland bedroht und durch die von den Behörden gegenüber jüdischen Flüchtlingen betriebene abweisende Asylpolitik verunsichert. Obwohl sich bis Kriegsende nur rund 22’500 jüdische Flüchtlinge in der Schweiz befinden, wird behauptet: "Das Boot ist voll." Trotz Protesten von Kirchen, Politikern und Teilen der Bevölkerung werden Hilfe Suchende abgewiesen und wissentlich in den Tod geschickt. Die Abwehr des Antisemitismus und Sorge um die Flüchtlinge, für die sie auf Geheiss der Behörden lange alleine aufzukommen haben, belasten die Schweizer Juden in der Zeit von 1933 bis 1945 stark.

Seit 1945: Konsolidierung und weitere Integration

Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ist in der Schweiz generell geprägt durch einen starken wirtschaftlichen Aufschwung und grosse gesellschaftliche Veränderungen. Mit dieser allgemeinen Entwicklung, die zu einer pluralistischeren Schweiz und zu mehr Verständnis für Minderheiten führt, werden die Schweizer Juden zu einer anerkannten und integrierten Minderheit. In den Kantonen Basel, Bern, Fribourg, St. Gallen und Zürich sind die jüdischen Gemeinden öffentlich-rechtlich anerkannt. Das Schweizer Judentum wird durch die Zuwanderung sephardischer Juden in die Westschweiz noch vielfältiger, dennoch ist die Gesamtzahl der jüdischen Bevölkerung seit 1920 leicht rückläufig. Die Integration führt vielfach auch zur völligen Assimilation, der Aufgabe des spezifisch Eigenen, und der Anteil gemischtreligiöser Partnerschaften ist hoch. Die jüdischen Gemeinden in kleineren Orten verschwinden, dagegen ist das gegenwärtige religiöse, kulturelle und gesellschaftliche Leben der Schweizer Juden in Zürich, Basel, Bern, Lausanne und Genf sehr lebhaft.

Autor

Ralph Weingarten, 2009

Rechtlicher Hinweis: Dieses Factsheet darf gesamthaft oder auszugsweise mit dem Hinweis «SIG Factsheet» zitiert werden

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