Die Geschichte der Zürcher Juden ist lang und vielfältig. Gemäss der Volkszählung aus dem Jahre 2000 lebten knapp 7000 Juden im Kanton Zürich; sie ist demnach die grösste jüdische Gemeinschaft der Schweiz.
Mittelalter
Seit Mitte des 13. Jahrhunderts sind Juden in Zürich nachgewiesen. Die meisten verdienten sich ihren Lebensunterhalt mit dem Geldhandel. Jede bäuerliche oder handwerkliche Tätigkeit war ihnen verboten. Zwischen 1305 und 1348, einer ersten Blütezeit des Zürcher Judentums, wohnte eine bedeutende jüdische Familie in der Stadt. Es war dies Minne mit ihren beiden Söhnen Moses und Mordechai ben Menachem. Die Familie bewohnte ein Haus, in dem 1996 bedeutende mittelalterliche Wandmalereien, datiert auf 1330, wiederentdeckt wurden. Die Wandmalereien beweisen, dass die sehr wohlhabende Familie mit der christlichen Oberschicht sozialen Umgang hatte. Moses war Rabbiner und Vorsteher einer Talmudschule, besass eine reichhaltige Bibliothek der halachischen Literatur und verfasste den so genannten «Zürcher Semak» (sefer mizwot katan= «kleines Buch der Gebote»). 1349 wurde beim sogenannten „Zürcher Pogrom“ ein Teil der jüdischen Bevölkerung getötet, darunter auch R. Moses und seine Schüler. Die Ermordung der Zürcher Juden war Teil der Verfolgungswellen im Gefolge der Pest von 1348/49.
Zweite Gemeinde und Ausweisung
Auf die Vernichtung der 1. Gemeinde folgte schon bald eine Wiederansiedlung von Juden in Zürich. Zur Blütezeit der 2. Gemeinde, zwischen 1384 und 1393, lebten knapp zwanzig jüdische Familien in Zürich, das heisst etwa hundert jüdische Personen, was rund zwei Prozent der damaligen städtischen Bevölkerung ausmachte. Im 15. Jahrhundert nahm die Zahl der Juden stetig ab, da der städtische Rat die Burgrechtsurkunden (modern ausgedrückt: die Aufenthaltserlaubnis) nicht mehr verlängerte. Ab Mitte des 15. Jahrhunderts lebten keine Juden mehr für längere Zeit in der Stadt. Endgültig ausgewiesen wurden die Juden 1633, als Samuel Eiron (Aron) wegen Gotteslästerung zum Tode verurteilt wurde. Im Anschluss daran beschloss der Rat, dass sich keine Juden mehr auf dem städtischen Territorium aufhalten dürfen.
Wiederansiedlung
Erst im Gefolge der französischen Besetzung der alten Eidgenossenschaft 1798 kamen wieder Juden nach Zürich. Doch bis zur bürgerlichen Gleichstellung im Jahr 1862 lebten nur wenige Juden in der Stadt. Eine einzige Familie war dauerhaft in Zürich ansässig: die Familie von Aron Ris. Sie gehörte zu den grössten Steuerzahlern der Stadt. Jacques Ris, ein Sohn Arons, war einer Gründer der Schweizerischen Kreditanstalt, der Vorgängergesellschaft der Credit Suisse Group.
Emanzipation
Die Glaubensfreiheit der Juden stand im 19. Jahrhundert nie zur Diskussion, denn das nach Zwingli reformierte Zürich kannte offiziell keinen religiös motivierten Judenhass. Dennoch war die Wiederansiedlung schwierig. Erst im Jahr 1862 nahm der Grosse Rat Zürichs die Motion von Pfarrer Gottlieb Ziegler an, nach der die Ausnahmegesetze für Juden aufgehoben wurden.
Gemeindegründung
Noch im gleichen Jahr wurde die Israelitische Cultusgemeinde Zürich (ICZ) von Zuwanderern aus Baden sowie Endingen und Lengnau gegründet. 1876 lebten 94 jüdische Familien in Zürich, von denen 64 in der ICZ organisiert waren. Seit 1884 besitzt die ICZ die im maurischem Stil erbaute Synagoge an der Löwenstrasse. Die Auseinandersetzung über die religiöse Ausrichtung der ICZ führte 1895 zur Gründung der Israelitische Religionsgesellschaft Zürich (noch im Rahmen der ICZ). Seit 1924 hat die IRGZ eine eigene Synagoge an der Freigutstrasse.
Zuwanderung und neue Gemeinden
Vor dem Ersten Weltkrieg waren ein Drittel der in Zürich lebenden Juden Ausländer, von denen die meisten aus Osteuropa stammten. Diese „Ostjuden“ litten einerseits unter der aufkommenden Fremdenfeindlichkeit der Bevölkerung und der Behörden (erschwerte Einbürgerung), andererseits gab es auch - wie in vielen anderen Orten - grosse Spannungen zwischen der westjüdisch geprägten ICZ und den Ostjuden. Ein Teil der Ostjuden gründete eine eigene Betgemeinschaft, die seit 1928 als «Jüdische Gemeinde Agudas Achim» eingetragen ist. Ihre Synagoge befindet sich an der Erikastrasse. 1978 wurde die Jüdische Liberale Gemeinde Or Chadasch gegründet, die zusammen mit der ICZ seit 2007 im Kanton Zürich staatlich anerkannt ist. Das Gemeindezentrum der JLG steht an der Hallwylstrasse. Ein Merkmal der Jüdischen Gemeinschaft in Zürich sind die zahlreichen Minjanim (Gebetsversammlungen), die in der Stadt aktiv sind. Seit mehr als 20 Jahren ist auch die Chabad-Lubawitsch-Bewegung in Zürich tätig. Derzeit betreibt sie zwei Zentren.
Autorin
Annette Brunschwig, 2009
Literatur
Ulrich Bär; Annette Brunschwig, Ruth Heinrichs, Karin Huser (Hg.): Geschichte der Juden im Kanton Zürich: von den Anfängen bis in die heutige Zeit, hrsg. von Zürich 2005.
Karin Huser Bugmann. Schtetl an der Sihl: Einwanderung, Leben und Alltag der Ostjuden in Zürich, 1880- 1939. Zürich 1998.
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