Ein nationales Memorial soll zukünftig in der Schweiz an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern. Der Bundesrat ist dieser Forderung nachgekommen. In Bern wird ein zentraler Erinnerungsort entstehen, im Kanton St. Gallen ein Vermittlungszentrum und schweizweit ein nationales Netzwerk der Erinnerungsarbeit.   

In der Schweiz gibt es an die sechzig kleinere, private Denkmäler und Orte, die an die Schoah, an die nationalsozialistischen Verbrechen und deren Opfer erinnern. Eine nationale und offizielle Gedenkstätte fehlte jedoch bislang – für die zahlreichen Schweizer Opfer der Verfolgung, die Tausenden von zurückgewiesenen oder ausgeschafften Flüchtlingen an der Schweizer Grenze und schliesslich für die vielen mutigen Helferinnen und Helfer in der Schweiz. Für all diese und alle Opfer der Schoah soll ein nationales Memorial Raum für das Erinnern und die Wissensvermittlung schaffen.

Schweizer Opfer und abgewiesene Flüchtlinge

Der Ruf nach einer nationalen Gedenkstätte wurde in den letzten Jahren immer lauter. Jüngere Forschungen haben gezeigt, dass unter den Opfern des nationalsozialistischen Regimes auch zahlreiche Schweizerinnen und Schweizer waren. Sie wurden verfolgt, weil sie beispielsweise Jüdinnen und Juden, Sozialisten, Sinti oder Roma waren. Es waren aber auch viele Frauen, die aufgrund der Heirat mit einem ausländischen Mann ihre Schweizer Staatsbürgerschaft und deren Schutz verloren. Diese Menschen wurden verfolgt, entrechtet und ermordet. Ebenso waren es Tausende von Schutzsuchenden, meistens Jüdinnen und Juden, die während des Zweiten Weltkriegs an der Schweizer Grenze zurückgewiesen und oftmals in den sicheren Tod geschickt wurden. In der Schweiz gab es aber auch viele Menschen, die sich dem Nationalsozialismus entgegengestellt oder den Verfolgten Schutz und Hilfe geboten haben.

Ein innovatives Konzept für das Erinnern sowie Vermittlung und Vernetzung

Für die Schaffung eines solchen Memorials schloss sich auf Initiative der Auslandschweizerorganisation ASO 2019 eine Projektgruppe zusammen. Unter Mitwirkung der Christlich-Jüdischen Arbeitsgemeinschaft CJA, des Archivs für Zeitgeschichte AfZ an der ETH Zürich, des Zentrums für Jüdische Studien der Universität Basel und des SIG wurde ein Konzept erarbeitet. Dieses sieht drei Pfeiler vor: «erinnern – vermitteln – vernetzen». Als Erinnerungsort im öffentlichen Raum soll das Memorial den Opfern gewidmet sein. Als Vermittlungsort soll es Informationen zur nationalsozialistischen Verfolgung und zum Thema Flucht sowie die Herausforderungen für die demokratische Schweiz bereitstellen und Möglichkeiten für Veranstaltungen und Wechselausstellungen bieten. Schliesslich soll das Memorial auch eine Vernetzungsort sein und bestehende Erinnerungsorte, Bildungsangebote und Initiative verbinden. In der Schweiz ist diese Kombination von Erinnerung, Vermittlung und Vernetzung neu und bisher einzigartig.

Breite Unterstützung für eine nationales Memorial

Im Mai 2021 wurde das ausgearbeitete Konzept dem Bundesrat übergeben. Schon zuvor erhielt das Projekt eine breite Unterstützung aus der Zivilgesellschaft, von den Landeskirchen und muslimischen Verbänden, aus der Politik und der Kultur. Im März 2021 wurden ausserdem zwei parlamentarische Motionen eingereicht, die vom Bund die Schaffung einer nationalen Gedenkstätte forderten. Die gleichlautenden Motionen «Schweizer Ort der Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus» wurden im Nationalrat von Alfred Heer (SVP) und im Ständerat von Daniel Jositsch (SP) vorbereitet. In beiden Räten fanden die Motionen die Unterstützung einer breiten überparteilichen Allianz. Im März 2022 wurden beide Motionen einstimmig angenommen und dem Bundesrat überwiesen. Die Ausarbeitung eines Umsetzungsvorschlags wurde dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten übertragen.

Ein Teil des Schweizer Memorial: Ein zentraler Erinnerungsort in Bern

Am 26. April 2023 hat der Bundesrat schliesslich grünes Licht gegeben. Das Memorial als Gesamtprojekt folgte diesem Entscheid nach den Leitlinien des ursprünglichen Konzepts und den drei Pfeilern «erinnern – vermitteln – vernetzen». Im Zentrum der Stadt Bern wird ein Erinnerungsort für die Opfer des Nationalsozialismus errichtet. Für dessen Umsetzung hat das EDA Im Juli 2025 einen internationalen Gestaltungswettbewerb lanciert. Ziel ist es, im Frühling 2026 ein Projekt auszuwählen, das den Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung gedenkt und gleichzeitig zu einer vertieften Auseinandersetzung mit der Geschichte der Schweiz zur Zeit des Zweiten Weltkriegs anregt. Der Gemeinderat der Stadt Bern stellt als Standort die zentral gelegene Casinoterrasse in unmittelbarer Nähe zum Bundeshaus zur Verfügung. Die Jury besteht aus fünfzehn Mitgliedern, von denen sechs den Bund, die Stadt Bern sowie die Initianten vertreten. Für den SIG nimmt Präsident Ralph Friedländer Einsitz. Ergänzt wird die Sachjury mit einer Fachjury bestehend aus neun unabhängigen Fachpersonen aus den Bereichen Kunst, Architektur, Geschichte, Vermittlung und Museologie.

Getragen wird das Projekt vom Trägerverein Schweizer Memorial, der im Juni 2025 vom SIG, der Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz GMS und dem AfZ gegründet wurde. Der Verein unterstützt nach der Errichtung des Erinnerungsorts dessen Betrieb und Weiterentwicklung sowie das inhaltliche Vermittlungsangebot. Später kann der Trägerverein eine entsprechen Rolle für das geplante «Vermittlungszentrum Flucht» im St. Galler Rheintal übernehmen.

Ein Teil des Schweizer Memorials: Ein Vermittlungszentrum im Kanton St. Gallen

Dieses geplante Vermittlungszentrum Flucht, das in Diepoldsau entstehen soll, wird die Geschichte der Flucht während der NS-Zeit, die Flüchtlingspolitik und die damit zusammenhängenden dramatischen Ereignisse ins Zentrum stellen. Für die Erarbeitung der Ausstellung und des Vermittlungsangebots wird mit dem nahe gelegenen Jüdischen Museum Hohenems auf der österreichischen Seite der Grenze eine Kooperation eingegangen.

Das Schweizer Memorial mit einer Vernetzungsfunktion

Um bestehende Erinnerungsorte und -initiativen zu vernetzen, wurde Anfang 2025 ein Netzwerkverein ins Leben gerufen. Dieser hat den Auftrag, ein nationales Netzwerk der Erinnerungsarbeit aufzubauen und das Vermittlungszentrum Flucht scherpunktmässig zu fördern. Der Netzwerkverein, der vom Bundesamt für Kultur finanziert wird, wird zurzeit vom SIG, dem Kanton St. Gallen, dem Zentrum für Jüdische Studien der Universität Basel, dem AfZ und der Stadt Bern getragen. Der SIG verantwortet die Geschäftsstelle des Vereins.

Eine Vision wird umgesetzt

Mit dem Umsetzungsentscheid für das Schweizer Memorial in all seinen Facetten setzen der Bund, die Stadt Bern und der Kanton St. Gallen ein wichtiges Zeichen gegen Völkermord, Antisemitismus und Rassismus. Der SIG, der sich von Beginn an intensiv für das Memorial engagiert hat und massgeblich an der Entwicklung und Realisierung beteiligt ist, ist von der Notwendigkeit dieses nationalen Projekts überzeugt: Die Opfer des Nationalsozialismus und der Schoah dürfen nicht vergessen werden. Sie und die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes sind tief im kollektiven Bewusstsein der Jüdinnen und Juden, auch hier in der Schweiz, verankert. Das Erinnern vermittelt Lehren für Gegenwart und Zukunft. Insbesondere die nächsten Generationen sollen mit dem edukativen Angebot des Memorials zum kritischen Nachdenken über Vorurteile und Ausgrenzung befähigt werden.

Literatur

Spörri, Balz/ Staubli, René/ Tuchschmid, Benno 2019: Die Schweizer KZ-Häftlinge. Vergessene Opfer des Dritten Reichs, Zürich: NZZ Libro.

Azaryahu, Maoz/ Gehring, Ulrike/ Meyer, Fabienne/ Picard, Jacques/ Späti, Christina (Hg.) 2021: Erzählweisen des Sagbaren und Unsagbaren. Formen des Holocaust-Gedenkens in schweizerischen und transnationalen Perspektiven, Köln: Böhlau.

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