Die sich durch die Pandemie vertiefenden gesellschaftlichen Gräben zeigen sich auch in den Erhebungen des Antisemitismusberichts des SIG und der GRA. In der realen Welt wie auch online kam es zu mehr Vorfällen. Insbesondere antisemitische Verschwörungstheorien mit Coronabezug haben stark zugenommen.
Die hitzigen und unversöhnlichen Debatten rund um die Pandemie und deren Folgen führen zu einer verstärkten Verbreitung antisemitischer Haltungen. Die Erhebungen des Antisemitismusberichts des SIG und der GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus bestärken den Eindruck, dass sich 2021 die gesellschaftlichen Gräben und Zerwürfnisse ausgeweitet haben. Das zeigt sich bei den beobachteten antisemitischen Vorfällen und insbesondere bei antisemitischen Verschwörungstheorien, die sich im Umfeld von Massnahmegegnern und -gegnerinnen weiter stark verbreitet haben. Die Übergriffe Anfang 2021 auf die Synagogen in Genf, Lausanne und Biel sind eine Warnung davor, dass auf Worte Taten folgen können.
Zu den Zahlen und Kategorien des Jahres 2021
Im Jahr 2021 wurden ohne Onlinebereich in der deutsch-, der italienisch- und der rätoromanischsprachigen Schweiz 53 antisemitische Vorfälle registriert. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet das für die reale Welt eine Steigerung um plus 6 gegenüber 47 im Jahr 2020. Zur Steigerung haben insbesondere die 23 Zusendungen (plus 8) beigetragen. Dazu kommen 16 Beschimpfungen (plus 5) und 7 öffentlich getätigte Aussagen (plus 2). Mit 7 Schmierereien (minus 8) ist in dieser Kategorie ein Rückgang zu verzeichnen. Erneut gab es ausserdem 1 Sachbeschädigung und keine verzeichneten Tätlichkeiten.
Im Onlinebereich zeigen die Erhebungen eine starke Steigerung. 2021 wurde mit 806 Vorfällen eine deutliche höhere Zahl an Onlinevorfällen erfasst als im Jahr 2020 mit 485. Das ist eine Steigerung um 66 Prozent. Gesamthaft wurden also 2021 in der realen Welt und im Onlinebereich 859 gemeldete und beobachtete Vorfälle verzeichnet. Es ist bemerkenswert, dass bei den Online-Plattformen, auf denen antisemitische Inhalte verbreitet wurden, Telegram mit Abstand die meisten Vorfälle hervorgebracht hat. Diese machten 61 Prozent der Onlinevorfälle im Jahr 2021 aus. Als antisemitische Vorfälle auslösende «Trigger» wurden auch 2021 neben der dominierenden Coronapandemie nur wenige andere und kleinere registriert.
Die Coronapandemie als permanenter Trigger für antisemitische Vorfälle
Die Coronapandemie wirkte als Trigger fast über das ganze Berichtsjahr. Wie schon im Jahr zuvor fanden insbesondere antisemitische Verschwörungstheorien mit Bezug zur Coronapandemie grosse Verbreitung. Es war auch wiederum das Umfeld der sogenannten «Corona-Rebellen», in dem eine Vielzahl von Verschwörungstheorien sowie Aussagen und Bilder mit antisemitischen Inhalten beobachtet wurden – in der Regel in einschlägigen Chats auf Telegram. Dort wurden 451 antisemitische Vorfälle aus acht verschiedenen Chats der «Corona-Rebellen» registriert, deutlich mehr als im Vorjahr (135). Es muss festgehalten werden, dass sich der Anteil der coronabezogenen online registrierten Vorfälle nochmals stark erhöht hat. Die «Corona-Rebellen» bzw. ihre Chats ziehen Personen mit antisemitischen Haltungen an, die auch dort ihre kruden Vorstellungen verbreiten. Die Coronapandemie zeigt sich also als der entscheidende Trigger für antisemitische Vorfälle, nach 2020 nun auch nochmals verstärkt im Jahr 2021.
Keine Zurückhaltung bei unangebrachten Coronavergleichen mit der Schoah
Weiterhin ein grosses und ernst zu nehmendes Problem sind die in der Szene der Coronamassnahmen-Gegnerschaft häufig beobachteten Vergleiche zum nationalsozialistischen Regime sowie zur Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung während der Schoah. Dies konnte sowohl in den Chats wie auch bei Demonstrationen beobachtet werden. Bekanntestes Beispiel sind zur Schau getragene «Judensterne». Die Vergleiche können nach der Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance IHRA aber nicht per se als antisemitisch klassiert und damit auch nicht der Kategorie «Schoahbanalisierung» zugeteilt werden. Obwohl die Vergleiche in diesem Kontext nicht per se antisemitisch sind, führen sie in ihrer Menge, ihrer Häufigkeit und ihrer Verbreitung zu einer Abschwächung der Wahrnehmung der damaligen Ereignisse und somit doch zu einer gewissen Verharmlosung. Entsprechend riefen SIG und GRA auch 2021 wiederholt dazu auf, solche Vergleiche zu unterlassen.
Gesamtschweizerische Situation
Die Situation in der Westschweiz wird von der Coordination Intercommunitaire contre l'Antisémitisme et la Diffamation CICAD mit einem eigenen Bericht erhoben. Eine gemeinsame Synthese, fasst die wichtigsten Trends zusammen. Dieses Jahr werden die Zahlen für die Schweiz erstmals gesamthaft und zeitgleich dargestellt und publiziert. Die CICAD registrierte im Jahr 2021 für die Romandie 165 Fälle. Wie oben dargestellt waren es für die restliche Schweiz 859 Vorfälle. Die Tendenzen in beiden Berichten sind ähnlich. Bemerkenswert sind zwei tätliche physische Angriffe auf jüdische Personen in der Romandie, im Rest des Landes wurden keine verzeichnet. Die starke Zunahme an antisemitischen Vorfällen im Internet und in den sozialen Medien war in der Romandie wiederum weniger ausgeprägt. Die Leugnung bzw. Banalisierung der Schoah hat in der ganzen Schweiz zugenommen, in der Romandie in höherem Masse als in der Restschweiz.
Ausbau des Berichts mit weiteren Inhalten und gesellschaftspolitischen Forderungen
Die Situation zum Antisemitismus in der Schweiz verlangt nach Massnahmen, um ein weiteres Erstarken antisemitischer Haltungen zu verhindern. Neu beinhaltet der Bericht auch Empfehlungen und Forderungen. Konkret fordern SIG und GRA von der Politik mehr Investitionen in Bildungsmassnahmen gegen Verschwörungstheorien, mehr staatliche Unterstützung für Präventionsprojekte, endlich auch ein staatliches Engagement beim Monitoring von Antisemitismus und Rassismus und eine Prüfung der rechtlichen Mittel zur Erfassung von Hassrede. Der Bericht wurde für dieses Jahr generell stark ausgebaut und um analytische und informative Inhalte ergänzt, so ein Überblick zur Sicherheitslage in der Schweiz, ein Fokus auf Antisemitismus in Europa, eine Auflistung von präventiven und strafrechtlichen Interventionen inklusive Verurteilungen (6 im Jahr 2021) und schliesslich ein Beitrag zur Methodik im Onlinemonitoring. Der Antisemitismusbericht erscheint dieses Jahr ausserdem erstmals als ganzer Bericht auch auf Italienisch und Englisch.
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Ganzer Bericht
Die hitzigen und unversöhnlichen Debatten rund um die Pandemie und deren Folgen führen zu einer verstärkten Verbreitung antisemitischer Haltungen. Das zeigt sich bei den beobachteten antisemitischen Vorfällen und insbesondere bei antisemitischen Verschwörungstheorien, die sich im Umfeld von Massnahmegegnern und -gegnerinnen weiter stark verbreitet haben. Das Niveau der Zahl physischer und verbaler Vorfälle bleibt auf tiefem Niveau aber mit einer Erhöhung. Im Onlinebereich wird eine starke Steigerung verzeichnet. Als Trigger fungierte auch 2021 im Wesentlichen die Coronapandemie.
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