Die Antisemitismuswelle, ausgelöst durch die Terroranschläge der Hamas und den Krieg in Gaza, ist leicht abgeebbt. Die Zahlen zu antisemitischen Vorfällen verfestigen sich aber auf einem deutlich höheren Niveau. Auch 2024 bleibt der Krieg in Nahost ein Trigger für eine Vielzahl der Fälle. Jüdinnen und Juden erfahren Antisemitismus direkter, von Beschimpfungen über schwere Tätlichkeiten bis hin zu einem Tötungsversuch. Das Sicherheitsgefühl jüdischer Menschen und die Sicherheitslage jüdischer Einrichtungen haben sich deutlich verschlechtert.  

Das Jahr 2024 hat wiederum eine äusserst grosse Zahl an antisemitischen Vorfällen hervorgebracht. Haupttreiber ist der Krieg in Nahost. Die durch den 7. Oktober 2023 ausgelöste Antisemitismuswelle ist leicht abgeebbt. Die Erhebungen des Antisemitismusberichts des SIG und der GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus zeigen aber deutlich, dass sich die Zahl der Vorfälle auf einem beispiellos hohen Niveau verfestigen. Jüdische Menschen in der Schweiz erleben Antisemitismus direkter und unverhohlener als zuvor. Aussagen und Übergriffe haben stark zugenommen. Ein versuchter Brandanschlag auf eine Synagoge und 11 Tätlichkeiten verdeutlichen diese Dynamik. Als erschreckende Zuspitzung gilt der Messerangriff auf einen Juden in Zürich im März 2024, der beinahe tödlich endete.

Zu den Zahlen und Kategorien des Jahres 2024

In der realen Welt wurden über die Monate hinweg konstant und massiv häufiger antisemitische Vorfälle registriert als vor den Terroranschlägen der Hamas vom 7. Oktober 2023. Gezählt wurden im Berichtsjahr 221 Fälle (2023: 155, 2022: 57), was einer Steigerung von 42,5 Prozent entspricht – gegenüber 2022 beträgt diese gar 287 Prozent. Im gesamten Berichtsjahr kam es zu 11 Tätlichkeiten (2023: 10, 2022: 1), vor 2023 waren es lediglich 1 oder gar keine Tätlichkeit pro Jahr. Eine massive Zunahme ist auch in der Kategorie der antisemitischen Aussagen zu beobachten, hier waren 103 gegenüber 38 zu verzeichnen (2023: 38, 2022: 6). Die Zahl der Beschimpfungen nahm mit 42 im Vergleich zum Vorjahr leicht ab (2023: 47, 2022: 16). Die Anzahl der Schmierereien blieb mit 44 Vorfällen (2023: 42, 2022: 9) fast unverändert, ebenso die Zahl der Auftritte (2024: 10, 2023: 8, 2022: 1) und der Plakate/Banner (2024: 9, 2023: 10, 2022: 1). Nach längerer Zeit wurden dem SIG 2024 wieder 2 Sachbeschädigungen gemeldet (2023/2022: 0). In allen Kategorien werden also teils exponentielle Anstiege im Vergleich zu den Jahren vor dem 7. Oktober 2023 sichtbar.

Seit Beginn des Berichtsjahrs 2024 kommt neu für das digitale Monitoring eine Suchsoftware zum Einsatz. Diese durchsucht öffentlich zugängliche Social-Media-Plattformen, Kommentarspalten von Online-Medien und Websites nach bestimmten Begriffen und erkennt auch, ob die Posts aus der Schweiz stammen. Dank dieser Suchsoftware können mehr Vorfälle erfasst werden. Daher ist ein Vergleich der Online-Vorfälle mit den Jahren zuvor nicht adäquat möglich.

2024 wurden mit dieser Methodik und durch externe Meldungen insgesamt 1596 Online-Vorfälle registriert. Der grösste Teil der beobachteten und gemeldeten Vorfälle entfällt aber auch weiterhin auf Telegram, 890 Fälle entsprechen dabei 55,7 Prozent aller Online-Vorfälle. Bemerkenswert hoch ist der Anteil der Vorfälle in den Kommentarspalten von Online-Zeitungen: 300 Vorfälle, verteilt auf sechzehn verschiedene Medien, wurden gezählt. Hier offenbart sich ein dringender Handlungsbedarf bei der Moderation, besonders auch wegen der teils schwerwiegenden antisemitischen Inhalte, die so Verbreitung finden. Bei den klassischen Social-Media-Plattformen konnte nun auch neu TikTok in den Fokus genommen werden, das gleich mit 103 die meisten Vorfälle in dieser Gruppe hervorgebracht hat. Gesamthaft wurden also 1’817 antisemitische Vorfälle gemeldet oder beobachtet.

Der Trigger von Oktober 2023 entfaltet über das ganze Jahr 2024 Wirkung

Die Terroranschläge der Hamas und der dadurch ausgelöste Gazakrieg hatten ab Oktober bis ins Jahr 2024 hinein eine regelrechte Antisemitismuswelle ausgelöst. Dieser massive Trigger für antisemitische Vorfälle hat seine Wirkung aber nachhaltig über das gesamte Berichtsjahr hinweg entfaltet. Dies zeigt sich daran, dass 44,8 % der Vorfälle in der realen Welt einen direkten Zusammenhang zum Nahost-Krieg aufweisen. Diese Zahl dürfte noch weit höher liegen, das Motiv der Täterinnen und Täter ist aber nicht in allen Fällen bekannt. Vor allem bei den Beschimpfungen und Aussagen zeigt sich das markant anhaltende Narrativ, dass die Schweizer Jüdinnen und Juden für den Krieg, die Handlungen und die Politik Israels verantwortlich seien. Dazu gehört auch die Forderung, dass sich Jüdinnen und Juden für diese Politik rechtfertigen oder davon distanzieren müssten.

Online-Vorfälle können oft inhaltlich präziser zugeordnet werden. So haben Online 28,3 Prozent der Vorfälle einen direkten Bezug zum Krieg in Nahost, entsprechend viele davon werden der Kategorie «israelbezogener Antisemitismus» zugeordnet. Generell tauchen entsprechende Fälle jedoch auch in weiteren Kategorien auf. So finden sich in den Kategorien «Verschwörungstheorien» bzw. «Schoahleugnung» auch solche mit Bezug zu Israel. Werden Schweizer Jüdinnen und Juden für den Krieg oder die Politik Israels verantwortlich gemacht oder pauschal als Israelis bezeichnet, so fällt dies wiederum in die Kategorie «Antisemitismus allgemein».

Soweit eine Zuordnung möglich war, können die Vorfälle der realen Welt mehr oder weniger gleichmässig bekannten Milieus zugeordnet werden: Rechtsextreme, Linksextreme, Islamisten, die sogenannte «Mitte der Gesellschaft», die verschwörungsaffine und staatsfeindliche Subkultur und das radikal pro-palästinensische Lager, in dem sich linke und muslimische Milieus treffen. Über alle Milieus hinweg konnte ein leichter Überhang beim radikal pro-palästinensischen Lager festgestellt werden. Online ist eine Zuordnung deutlich unklarer. Die wenigen klaren Zuordnungen weisen aber auf die gleichen Milieus wie oben hin.

SIG und GRA fordern, dass die Sicherheit der Juden und Jüdinnen in der Schweiz gewährleistet wird

Antisemitismus in der Schweiz steht nicht mehr an einem Scheideweg, er hat sich spürbar gegen jeden Widerstand durchgesetzt und eine beängstigende Richtung eingeschlagen. Was vor dem 7. Oktober 2023 im Versteckten gedacht und gesagt wurde, ist, befeuert durch den Krieg in Nahost und durch das Verschieben gesellschaftlicher Normen, an die Oberfläche gespült worden. Das hat signifikante Veränderungen für das Leben von Jüdinnen und Juden in der Schweiz zur Folge. Waren Übergriffe wie Beschimpfungen, Anspucken, Tätlichkeiten und gar brutale Angriffe auf Leib und Leben bis anhin nur ferne Geschehnisse aus dem Ausland, sind sie heute hiesige Realität. Das Sicherheitsgefühl vieler jüdischer Menschen hat sich erheblich verschlechtert. Eine Ende 2024 durchgeführte Umfrage der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW unter der jüdischen Bevölkerung in der Schweiz bestätigt dies. Viele verstecken religiöse Symbole wie eine Davidstern-Kette oder die Kippa. Sie vermeiden es, in der Schule, am Arbeitsplatz und an Universitäten, offen ihre Identität preiszugeben. Als jüdisch erkannt zu werden, birgt heute für viele ein zu hohes Risiko. Die Angespanntheit und erhöhte Aufmerksamkeit rund um jüdische Einrichtungen sind durchwegs spürbar.

Die Gesellschaft und die Politik sind verpflichtet, die Sicherheit jüdischen Lebens in der Schweiz zu gewährleisten. Es besteht nicht nur Handlungs-, sondern ein klarer Nachholbedarf. Die Sicherheit jüdischer Einrichtungen muss langfristig durch polizeiliche Massnahmen und die aktive Unterstützung der Sicherheitsmassnahmen vor Ort gewährleistet werden. Die sich in Diskussion befindliche Antisemitismusstrategie wäre zum jetzigen Zeitpunkt dringend nötig. Dies beinhaltet auch ein starkes und nachhaltiges Engagement des Staates beim Monitoring von Antisemitismus und Rassismus. Griffige Massnahmen des Bundes braucht es auch im Bereich Prävention und Sensibilisierung, hier sind auch die Schulen selbst, die Kantone, die Konferenz der Kantonsregierungen und die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren gefragt. Zudem muss endlich eine wirksame rechtliche Handhabe gegen Online-Hassrede geschaffen werden, einschliesslich eines entschlossenen Einwirkens auf Social-Media-Plattformen und Messengerdienste, um die Verbreitung von Hass zu stoppen. Die GRA und der SIG haben diese Forderungen schon mehrfach dargelegt, ihre Dringlichkeit kann auf Grundlage der Erhebungen des Antisemitismusberichts nicht geschmälert werden – im Gegenteil.

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