Antisemitismus

Antisemitismusbericht 2022 – Eine neue verschwörungsaffine Subkultur generiert immer mehr antisemitische Vorfälle

Die Zahl der erfassten antisemitischen Vorfälle hat auch 2022 zugenommen. In der realen Welt wie auch Online sind Zunahmen ersichtlich. Hauptverantwortlich für einen Grossteil der Vorfälle Online ist eine neue staats- und gesellschaftsfeindliche Subkultur.

In der Schweiz hat sich seit Beginn der Coronapandemie vor drei Jahren eine verschwörungsaffine Subkultur gebildet. Diese zeichnet heute für einen Grossteil der antisemitischen Vorfälle Online verantwortlich. Die Erhebungen des Antisemitismusberichts des SIG und der GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus zeigen, dass diese Subkultur und ihre Telegramgruppen mittlerweile 75 Prozent aller Onlinevorfälle verursachen. Sie ist damit hauptverantwortlich dafür, dass auch 2022 eine Steigerung bei den antisemitischen Vorfällen in der deutsch-, der italienisch- und der rätoromanischsprachigen Schweiz verzeichnet werden muss.

Zu den Zahlen und Kategorien des Jahres 2022

Im Vergleich zum Vorjahr wurde erneut eine Steigerung der Zahl antisemitischer Vorfälle in der realen Welt, ohne OnIinebereich, von 53 auf 57 registriert. Erstmals seit 2018 wurde der Meldestelle des SIG eine Tätlichkeit (+1) gemeldet. Die Zahl der Beschimpfungen (16) blieb genau gleich hoch wie 2021. Bei den öffentlich getätigten Aussagen (6, -1), den Schmierereien (9, +2) und den Zusendungen (26, +3) kam es nur zu kleineren Verschiebungen. Dazu kamen noch jeweils ein antisemitischer Auftritt (-2) und ein antisemitisches Plakat (+1). 2022 wurden keine Sachbeschädigungen gemeldet.

Im Onlinebereich ist eine erneute Zunahme antisemitischer Vorfälle um rund 6 Prozent auf 853 Vorfälle (2021: 806) zu verzeichnen. Das ist eine geringere Zunahme als jene starke Steigerung, die noch 2021 beobachtet wurde (+66 Prozent). Gesamthaft ergeben sich also für das Jahr 2022 in der realen Welt und im Onlinebereich 910 gemeldete und beobachtete Vorfälle (2021: 859). Neu und bemerkenswert ist die Entwicklung bei den sogenannten «Triggern», die direkt oder indirekt antisemitische Vorfälle auslösen. 2022 wurden zwei langfristige Trigger «Corona» und «Ukrainekrieg» identifiziert. In der Regel sind solche mit diesen Triggern ausgelösten Vorfälle vor allem den Kategorien «Antisemitismus allgemein» und «antisemitische Verschwörungstheorien» zuzuordnen. So ist auch der Anteil der zeitgenössischen antisemitischen Verschwörungstheorien an den Onlinevorfällen im Jahr 2022 von 51 auf 57 Prozent weiter gestiegen. Diese Feststellungen sind klar auf die erwähnte Subkultur und Telegram als Verbreitungskanal zurückzuführen.

Eine staats- und gesellschaftsfeindliche Subkultur verbreitet Antisemitismus

Diese staats- und gesellschaftsfeindliche sowie verschwörungsaffine Subkultur hat sich in der Schweiz, wie in anderen Ländern auch, seit Beginn der Coronapandemie gebildet. Der Anteil der Onlinevorfälle von 75 Prozent aus der Domäne dieser Subkultur und ihrer Telegramgruppen bedeutet eine massive Steigerung gegenüber dem Vorjahr, als dieser Anteil noch bei 61 Prozent lag (2022: 640, 2021: 445). Gründe für die Steigerung sind einerseits die bereits in den Vorjahren kritisierte nicht vorhandene Moderation und Sanktionierung durch die Plattformbetreibenden. Andererseits fällt die ununterbrochen starke Aktivität dieser Szene auf.

In diesem Umfeld werden zahlreiche Verschwörungstheorien verbreitet, vielfach zur Coronapandemie aber auch zu diversen anderen Themen. Der Ukrainekrieg hat hier für zusätzliche Elemente gesorgt. In ihrer Vorstellungswelt hängen alle diese Themen und die dazugehörigen Theorien zusammen und ergeben eine eigene Realität. Diese Subkultur erschafft sich damit eine Parallelwelt und unterstreicht dies, indem sich viele ihrer Mitglieder immer mehr von der Gesellschaft und den staatlichen Strukturen entfernen. Das Gewaltpotential dieser Gruppe kann aufgrund der Gewaltandrohungen und -fantasien als durchaus latent bezeichnet werden. Auch der Nachrichtendienst des Bundes warnt vor der Radikalisierung solcher Gruppen oder Einzelner.

Gesamtschweizerische Situation

Die Situation in der Westschweiz wird von der Coordination Intercommunitaire contre l'Antisémitisme et la Diffamation CICAD mit einem eigenen Bericht erhoben. Eine gemeinsame Synthese, fasst die wichtigsten Trends zusammen. Die CICAD registrierte im Jahr 2022 für die Romandie 562 Fälle (2021: 165). Die starke Zunahme beruht aber auf der Ausweitung des Monitorings der CICAD auf weitere Online-Plattformen. In der realen Welt kam es auch in der Westschweiz zu einer Steigerung der Vorfälle (2022: 28, 2021: 22). Bemerkenswert ist hier die Schändung einer Synagoge. Wie in der übrigen Schweiz verursachten die Trigger «Corona» und «Ukrainekrieg» im Onlinebereich eine Vielzahl von Vorfällen, in der Westschweiz kam die Präsidentschaftswahl in Frankreich als Trigger hinzu. Antisemitische Verschwörungstheorien hatten 2022 oft einen Bezug zu Corona und neu zum Ukrainekrieg. Darum ist der Anteil der Verschwörungstheorien an den Onlinevorfällen im ganzen Land gestiegen. Die Stagnation an Vorfällen an israelbezogenen antisemitischen Vorfällen war auch in der Westschweiz zu beobachten. Hingegen musste eine starke Zunahme in der Kategorie Schoahleugnung verzeichnet werden.

SIG und GRA fordern stärkeres staatliches Engagement und Handeln

Die Erkenntnisse dieses Berichts machen die entscheidende Bedeutung des Antisemitismusmonitorings deutlich. Der Bund sollte vermehrt die verschiedenen bestehenden Beobachtungs- und Analyseinstrumente von NGOs und Verbänden unterstützen und hier endlich Mitverantwortung übernehmen. Der Bund sollte auch rechtlichen Mittel zur Erfassung und Beschränkung von Hassrede prüfen. Die Politik muss ausserdem auf die Social-Media-Plattformen einwirken, die Verbreitung solcher Hassbotschaften zu unterbinden, insbesondere Telegram. Ganz generell braucht es eine nationale Strategie gegen Antisemitismus, die entsprechende Analyse-, Präventions- und Sanktionsinstrumente enthält. Dazu gehört auch das aktuell im Parlament behandelte Verbot von Nazisymbolen, das rasch umgesetzt werden muss.

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    In der Schweiz hat sich seit Beginn der Coronapandemie vor drei Jahren eine verschwörungsaffine, gesellschafts- und staatsfeindliche Subkultur gebildet. In diesem Umfeld werden Online zahlreiche antisemitische Verschwörungstheorien verbreitet, vielfach zur Coronapandemie aber auch zu diversen anderen Themen. Sie ist damit hauptverantwortlich dafür, dass auch 2022 eine Steigerung bei den antisemitischen Vorfällen verzeichnet werden muss. In der realen Welt wurde ebenfalls ein leichter Anstieg festgestellt.

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