Die Schweiz soll sich zur IHRA-Definition bekennen
In den letzten Wochen ist eine Debatte um die Antisemitismusdefinition der IHRA entstanden. Mit der Jerusalem Declaration wollen deren Unterstützerinnen und Unterstützer der IHRA-Definition eine Alternative entgegenstellen. SIG-Präsident Ralph Lewin hat heute in der NZZ mit einem Gastkommentar klar Stellung für die IHRA bezogen.
Erschienen als Gastkommentar in der Neuen Zürcher Zeitung am 19. April 2021.
Die Antisemitismus-Definition der IHRA hat sich bewährt
von SIG-Präsident Ralph Lewin
Was antisemitisch ist oder nicht, ist nicht immer auf den ersten Blick klar und birgt Potenzial für Diskussionen. Abhilfe schafft eine einheitliche und möglichst breit akzeptierte Antisemitismus-Definition. Ohne ein solches Werkzeug ist es schwierig, das Phänomen systematisch zu erfassen und schliesslich Gegenmassnahmen zu ergreifen.
Dafür wurde die Antisemitismus-Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance IHRA geschaffen. Sie besagt: «Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.»
Das ist klar und deutlich. Der IHRA gehören 34 Länder an. Nach langjähriger Arbeit unter Mitwirkung renommierter Antisemitismus- und Holocaust-Forscher wurde die Definition 2016 vorgestellt. Sie wird mittlerweile von 22 Staaten sowie diversen Städten und Organisationen anerkannt und angewendet. Sie wird durch elf Beispiele ergänzt, welche die Handhabung erleichtern.
Brauchbares Instrument
Der SIG stützt sich in seinem jährlichen Antisemitismusbericht ebenfalls auf die IHRA-Definition, wie das auch die meisten Schweizer NGO tun, die sich mit Antisemitismus befassen. Für diese Arbeit hat sich die IHRA-Definition als brauchbares und zielführendes Werkzeug erwiesen. Zusätzlich können wir damit unsere Ergebnisse über die Landesgrenzen hinweg vergleichen.
Vor kurzem wurde mit der sogenannten Jerusalem Declaration on Antisemitism JDA eine neue Antisemitismus-Definition vorgestellt. Die JDA will sich als anwendbare, prägnante und historisch fundierte Kerndefinition von Antisemitismus positionieren. Diese Selbsteinschätzung kann man akzeptieren oder nicht. Tatsache ist aber, dass die JDA die Erfolge der IHRA im Kampf gegen Antisemitismus untergräbt und sich auf einen Kritikpunkt fokussiert: auf Israel bezogenen Antisemitismus.
Entgegen den Behauptungen einiger JDA-Unterstützerinnen und -Unterstützer schliesst die IHRA-Definition Kritik an der Politik Israels nicht aus. Im Gegenteil: Sie lässt sie ausdrücklich zu, sofern sie an Israel nicht andere Standards anlegt als an andere Länder. Das finden wir auch richtig. Auf Israel bezogener Antisemitismus bleibt aber zugegebenermassen umstritten, da man sich hier in einem aufgeheizten politischen Spannungsfeld bewegt.
Natürlich ist keine Definition davor gefeit, politisch ausgelegt zu werden. Die IHRA-Definition hat aber den weiten Weg durch die Gremien schon seit einigen Jahren hinter sich und findet zunehmend Anwendung. Der Sache ist nicht gedient, wenn nun eine neue Debatte lanciert und der einen Definition eine andere gegenübergestellt wird.
Debatte in der Schweiz
Die Schweiz ist seit 2004 Mitglied der IHRA, hatte 2017 den Vorsitz inne und war auch an der Ausarbeitung der IHRA-Definition beteiligt. Trotzdem hat sie diese Definition bis heute nicht offiziell anerkannt. Aus Sicht der jüdischen Gemeinschaft ist es nun an der Zeit, dass auch die Schweiz diesen Schritt macht und sich zur IHRA-Definition bekennt. Ein ständerätlicher Vorstoss verlangt dazu vom Bundesrat einen Bericht.
Statt dass man sich in politisch aufgeladenen Debatten und Diskussionen verliert, muss Antisemitismus effizient und effektiv bekämpft werden. Dafür brauchen wir Werkzeuge wie die IHRA-Definition; wir schaffen damit eine brauchbare Basis des Vergleichs mit denjenigen Ländern, Städten und Organisationen, welche die IHRA-Definition bereits anerkannt haben.