Erinnerung

Im Gedenken an die Opfer der Schoah setzten drei Wahrzeichen Zürichs ein Zeichen gegen das Vergessen

Gestern Abend setzten drei Wahrzeichen Zürichs ein Zeichen gegen das Vergessen und erinnerten an die Opfer der Schoah. In Bern fand ein Gedenkanlass mit Bundespräsident Ignazio Cassis statt.

Gestern Abend leuchteten drei Wahrzeichen Zürichs anlässlich des Internationalen Tags des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. An der diesjährigen WeRemember-Kampagne des World Jewish Congress WJC und der UNESCO beteiligten sich der SIG und die Plattform der Liberalen Juden der Schweiz PLJS. Angeschlossen hatten sich spontan die Stadt Zürich, die Altstadtkirchen der reformierten Kirche Zürich sowie die Israelitischen Cultusgemeinde Zürich ICZ. Mit ihrer Unterstützung wurden das Stadthaus von Zürich, der Sitz der Stadtzürcher Regierung, und das Grossmünster in Zürich zusammen mit der Synagoge der ICZ an der Löwenstrasse weit herum sichtbar und teils mit dem WeRemember-Schriftzug beleuchtet. Damit hat Zürich ein wichtiges Zeichen gesetzt. Sie betonten damit auch die jüdische Geschichte der Stadt und stellten sich solidarisch hinter die hiesige jüdische Gemeinschaft.

Etwa zur gleichen Zeit fand in Bern der jährliche Gedenkanlass zum International Holocaust Remembrance Day 2022 der Israelischen Botschaft statt. Der Schweizer Bundesrat wurde durch Bundespräsident Ignazio Cassis und das Parlament durch Nationalratspräsidentin Irène Kälin vertreten. SIG-Präsident Ralph Lewin hielt ebenfalls Grussbotschaft, die hier auf Deutsch wiedergegeben wird.

Rede von Ralph Lewin

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin

Sehr geehrter Herr Bundespräsident

Exzellenzen

Sehr geehrte Frau Hadzis

Kwod Haraw

Sehr geehrte Damen und Herren

Heute vor 77 Jahren wurde das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau durch die sowjetische Armee befreit. Seit die Schweiz im Jahr 2004 der IHRA beigetreten ist, begeht auch sie den internationalen Holocaust-Gedenktag. Aber wie viele kennen dieses Datum und wissen, was am 27. Januar 1945 geschah – und vor allem, wie viele verstehen, wofür dieses Datum in der Geschichte Europas, in der Geschichte der Welt, eigentlich steht?

Ja, ich bin mir sicher, dass wir, die hier zu diesem festlichen Akt eingeladen wurden, und alle, die uns zuhören, über die furchtbaren Geschehnisse, über die Schreckensherrschaft und den Terror der Nationalsozialisten, über die Leiden der Opfer und die Leiden der Nachgeborenen Bescheid wissen – soweit sich dieses Leiden, soweit sich diese Schicksale begreifen lassen können. Und ich bin dankbar für die vielen und wichtigen Aktivitäten der IHRA und dafür, dass die offizielle Schweiz und so viele Länder ihren Pflichten nachkommen. Ich bin aber auch den Verantwortlichen der zahlreichen Organisationen, jüdischer wie nicht jüdischer, verbunden für ihren unermüdlichen Einsatz gegen das Vergessen und für das Wachhalten der Erinnerung.

Aber was ist mit der Zivilgesellschaft und vor allem mit der jungen Generation? Was ist mit den vielen Menschen, die sagen, «es ist genug!», «lasst uns einen Schlussstrich ziehen!», «diese alten Geschichten haben ja mit mir nichts zu tun» und «mich trifft doch keine Schuld!»? Wissen sie, woran wir uns jedes Jahr am 27. Januar erinnern?

Hier sind wir alle in unseren Funktionen und Ämtern gefordert. Hier haben wir die Möglichkeit und sogar die Pflicht, zu gestalten und Einfluss zu nehmen. Denn die Art und Weise, wie wir erinnern, bestimmt uns in unserer Gegenwart und formt unsere Zukunft.

Was bedeutet das? In erinnerungspolitischer Hinsicht ist in der Schweiz sehr viel unternommen worden in den letzten Jahren: sei es beispielweise das Konzept für ein Schweizer Memorial für die Opfer des Nationalsozialismus, das wir, der SIG, als Teil einer Steuerungsgruppe und auf Initiative der Ausladschweizerorganisation ASO im Mai 2021 dem Bundesrat übergeben haben. Auch dank einer bemerkenswert grossen überparteilichen parlamentarischen Unterstützung ist das Projekt auf sehr gutem Wege, unter Federführung des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten EDA realisiert zu werden.

Es ist sehr zu begrüssen, dass sich die Schweiz seit letztem Jahr zur IHRA-Antisemitismusdefinition bekennt. Diese hat sich bewährt und wird mittlerweile von 29 Staaten sowie diversen Städten und Organisationen anerkannt und angewendet.

Weiter möchte ich an die Initiative Stolpersteine Schweiz erinnern. Bereits wurden in der Schweiz, vor allem in Zürich und Basel, achtzehn solcher Stolpersteine und eine Stolperschwelle in Riehen, an der Grenze zu Deutschland, verlegt. Diese kleinen, in den Boden eingelassenen Messingplatten vergegenwärtigen uns die furchtbaren Schicksale von Menschen, die von hier, aus der vermeintlich sicheren Schweiz, weggebracht und in einem Konzentrationslager in Europa ermordet wurden.

Orte der Erinnerung und Vermittlung, seien es die Stolpersteine oder eines Tages ein offizielles Schweizer Memorial, sind wichtig. Wir müssen uns zusammentun, wenn es darum geht, die Erinnerung an den Holocaust wach zu halten und vor allem zu vermitteln, wozu Menschen fähig sind und wie es dazu kommen konnte: durch Vorurteile, Ausgrenzung, Diskriminierung, unbeschreiblichen Hass bis hin zum Genozid.

ABER: Und dieses Aber ist in Grossbuchstaben geschrieben. Wir dürfen uns nicht auf diesen Projekten ausruhen und meinen, damit sei es getan. Eindrücklich wird uns gerade in der Debatte rund um das Zürcher Kunsthaus und die Kunstsammlung des ehemaligen Waffenfabrikanten Emil Georg Bührle vor Augen geführt, wie es um die Erinnerungskultur in der Schweiz steht. Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass es einen Unterschied gibt zwischen Vergangenheit als solcher und Vergangenheit, wie sie erinnert wird.

Auch bei diesem Thema gibt es wertvolle politische Unterstützung in einer beim Bundesrat hängigen Motion, welche die Schaffung einer nationalen und unabhängigen Kommission für NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter vorschlägt. Der SIG setzt sich stark für diesen parlamentarischen Vorstoss ein, der sich an vergleichbaren Kommissionen in anderen Ländern orientiert.

Das geplante Memorial, die Stolpersteine, um bei diesen Beispielen zu bleiben, und die damit einhergehende politische Unterstützung sind für dieses Land so wichtige Zeichen. Ein weiteres Zeichen wird heute in Zürich gesetzt, wenn am Abend das Grossmünster, das Stadthaus und die Synagoge an der Löwenstrasse aus Anlass des Gedenktages speziell beleuchtet werden, wie in zahlreichen anderen Städten weltweit.

All diesen Zeichen und Aktivitäten gemeinsam ist, dass mit ihnen eine öffentliche Debatte darüber angestossen wird, wie sich die Schweiz in erinnerungspolitischen Fragen positionieren will und muss. Dies ist unabdingbar und zu begrüssen.

Denn wer die Vergangenheit kennt und versteht, kann den Herausforderungen der Gegenwart besser begegnen. Auch dafür steht dieser Tag, der 27. Januar; dass er gerade bei der jungen Generation das Bewusstsein für Zivilcourage, eine stabile Demokratie und starke Menschenrechte fördert. Und dass er uns die Bedeutung der Erinnerung für die Zukunft aufzeigt.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Abonnieren Sie jetzt die SIG News

Diese Website verwendet Cookies, um ein bestmögliches Nutzungserlebnis zu gewährleisten.

Dazu gehören wesentliche Cookies, die für den Betrieb der Website notwendig sind, sowie andere, die nur für anonyme statistische Zwecke, für Komfort-Einstellungen oder zur Anzeige personalisierter Inhalte verwendet werden. Sie können selbst entscheiden, welche Kategorien Sie zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass je nach Ihren Einstellungen möglicherweise nicht alle Funktionen der Website zur Verfügung stehen.

Diese Website verwendet Cookies, um ein bestmögliches Nutzungserlebnis zu gewährleisten.

Dazu gehören wesentliche Cookies, die für den Betrieb der Website notwendig sind, sowie andere, die nur für anonyme statistische Zwecke, für Komfort-Einstellungen oder zur Anzeige personalisierter Inhalte verwendet werden. Sie können selbst entscheiden, welche Kategorien Sie zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass je nach Ihren Einstellungen möglicherweise nicht alle Funktionen der Website zur Verfügung stehen.

Ihre Cookie-Einstellungen wurden gespeichert.