In Gedenken an Gábor Hirsch
Am Freitag ist Gábor Hirsch, eine der wichtigen und letzten Stimmen der Holocaust-Überlebenden in der Schweiz verstorben. Er wurde 90 Jahre alt. Hirsch hatte sich in den letzten Jahrzehnten gegen das Vergessen und für die Erinnerung der Schoah engagiert eingesetzt. Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund SIG nimmt Abschied und drückt der Familie sein tief empfundenes Beileid aus.
Mit Gábor Hirsch ist einer der letzten Holocaust-Überlebenden und Zeitzeugen der Gräuel der Schoah in der Schweiz verstorben. Hirsch hatte sich seit Jahrzehnten für andere Überlebende und für die Aufklärung stark gemacht. Mitte der 90er Jahre gründete er zusammen mit Otto Klein die Kontaktstelle für Überlebende des Holocausts. Unter dem Eindruck der damaligen Auseinandersetzungen zur Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg wollte die Organisation die Aufarbeitung vorantreiben und als Sprachrohr der Überlebenden der Schoah dienen. Ihr Ziele waren die Aufklärungsarbeit und der Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus, Holocaust-Leugnung und gegen das Vergessen. Die Kontaktstelle unterstützte ausserdem die Überlebenden bei der gegenseitigen Vernetzung und bei Fragen von Hilfeleistungen und Entschädigungen. Gábor Hirsch selbst trat vor zahlreichen Schulklassen auf, hielt Vorträge und arbeite eng mit Dokumentationsstellen zusammen, um die Geschichten der Überlebenden zu sichern. Auch der SIG durfte auf die wertvolle Unterstützung durch Gábor Hirsch zählen. So war er einer der Zeitzeugen, die an der ersten Auschwitz-Birkenau Bildungsreise für Lehrpersonen dabei waren, organisiert durch die beiden Verbände SIG und Plattform der Liberalen Juden der Schweiz PLJS. Noch Anfang 2020 ist er als Vertreter von Schweizer Überlebenden an die Gedenkzeremonie zu 75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz nach Polen gereist.
Gábor Hirsch – eine Geschichte von vielen
Die Geschichte Gábor Hirschs ist nur schwer zu fassen und zu verarbeiten und steht doch für das Schicksal abertausender, welche die Verbrechen und Gräuel von Ausschwitz und der Schoah erlebt haben. Geboren und aufgewachsen ist Gábor in Békéscsaba in Ungarn. Als Nazideutschland im März 1944 in Ungarn einmarschierte, kam es bald darauf zur Ghettoisierung der Juden in Békéscsaba. Hirschs Vater wurde zur Zwangsarbeit eingezogen. Hirsch und seine Mutter hingegen wurden in Viehwaggons nach Auschwitz transportiert, wo sie am 29. Juni 1944 eintrafen. Bei ihrer Ankunft überstanden sie die erste Selektion und wurden in unterschiedliche Lager verbracht. Die Mutter kam im Dezember ums Leben. Hirsch selbst überstand weitere Selektionen bis er im Oktober mit 600 anderen in die Gaskammern geschickt wurde. Mit nur 51 weiteren Jungen wurde er nochmals als arbeitsfähig aussortiert und wieder in die Baracke zurückgeschickt. Als die Deutschen das Lager Mitte Januar 1945 räumten, versteckte sich Hirsch, da er in einer zu schwachen Verfassung war, um gehen zu können. Er blieb, bis auch ihn die Rote Armee am 27. Januar 1945 befreite.
Nach einer langen Odyssee über verschiedene Displaced-Persons-Camps, nach Schule und Universität in Ungarn gelangte er während der Wirren des Ungarn-Aufstands von 1956 in die Schweiz. Dort baute er sich ein Leben als Elektroingenieur mit Frau, zwei Kindern und drei Enkelkindern auf.
Der SIG nimmt Abschied
Der SIG nimmt Abschied von einem engagierten Kämpfer gegen das Vergessen und für das Erinnern. Der Verband spricht der Familie und Freunden von Gábor Hirsch seine aufrichtige Anteilnahme und sein tief empfundenes Beileid aus.
In der Kurzdokumentation «70 Jahre Freiheit: Schweizer Zeitzeugen des Holocausts kommen zu Wort» schilderten Gábor Hirsch und Eduard Kornfeld, wie sie die Befreiung der Konzentrationslager erlebt haben. Der Film wurde 2015 anlässlich des Internationalen Tags des Gedenkens an die Opfer des Holocausts und 70 Jahre nach der Befreiung vom SIG herausgegeben