Offener Brief an Klaus J. Stöhlker
Am Wochenende erschien ein Artikel von Klaus J. Stöhlker auf Inside Paradeplatz. Der Titel verweist auf eine Mediengeschichte zum Verhältnis jüdischer Touristen zur lokalen Bevölkerung im Saastal im Wallis. Im Inhalt bietet der Beitrag aber eine Aneinanderreihung von Vorurteilen und Klischees gegenüber Jüdinnen und Juden. Stöhlkers Text hat viele Leserinnen und Leser, vor allem auch aus der jüdischen Gemeinschaft, verstört und erschüttert. SIG-Präsident Ralph Lewin gehört zu diesen Lesern und nimmt nun in einem offenen Brief an Klaus J. Stöhlker Stellung.
Sehr geehrter Herr Dr. Stöhlker
In Ihrem vor Kurzem auf «Inside Paradeplatz» publizierten Artikel über das Verhältnis von Juden und Einheimischen im Saastal haben Sie es geschafft, gut ein Dutzend Vorurteile und Klischees über jüdische Menschen zusammenzutragen und zu verbreiten. Welche Absicht Sie damit verbinden, erschliesst sich mir nicht. Was sie damit aber erreichen, will ich gerne sagen: Sie grenzen aus, säen Ablehnung und Misstrauen und beschädigen die Aufklärungs- und Vermittlungsarbeit vieler engagierter Menschen, ob Juden oder Nichtjuden. Einerseits zeichnen Sie ein einseitiges, oberflächliches und unsympathisches Bild streng religiöser Juden und ihrer Familien. Andererseits beschreiben sie liberale jüdische Menschen aus Ihrem Umfeld. Diese seien kultiviert, gebildet und reich, unverschämt reich. Auch hier ist ihr Ton irritierend besserwisserisch, ihr Bild oberflächlich und einseitig. Beide Beschreibungen unterstützen die Vorstellung von Jüdinnen und Juden als etwas Fremdes, Eigenartiges und Spezielles in den Köpfen vieler Menschen, die nur wenig oder gar keinen Kontakt zu Juden haben. Sie verstärken mit Ihren Allgemeinplätzen uralte Vorurteile.
Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund SIG kämpft seit Jahren mit zahlreichen Aufklärungs- und Informationsprojekten gegen solche Vorurteile und Pauschalaussagen an. Mit unserem Aufklärungsprojekt Likrat sind jüdische Jugendliche jedes Jahr in zahlreichen Schulklassen zu Besuch. Dabei zeigen sie auf, wie vielseitig die jüdische Gemeinschaft ist und dass jüdische Jugendliche, abgesehen von der Religion und gewissen Traditionen, sich nicht wesentlich von den anderen Schülerinnen und Schülern unterscheiden.
Ihr Text ist kein Beitrag zur Verständigung und zur friedlichen Koexistenz in diesem Land. Er erscheint zudem in einer Zeit, in der unguten Worten rasch ungute Taten folgen können.
Freundliche Grüsse