Jiddisch war mehr als tausend Jahre lang eine der wichtigsten Umgangssprachen der aschkenasischen Gemeinschaften in aller Welt. Neben Hebräisch und den Sprachen der jeweiligen Länder war es auch Schriftsprache, wie die umfangreiche jiddische Literatur bezeugt.

Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges gab es etwa 11 Millionen jiddischsprachige Menschen in Europa, den Vereinigten Staaten und Südamerika. Die Bezeichnung Jiddisch taucht jedoch erst im 17. Jh. zum ersten Mal auf. Der Ursprung des Jiddisch geht der allgemein anerkannten Ansicht des Sprachwissenschaftlers Max Weinriech zufolge auf das 9. bis 10. Jh. in Lothringen zurück.

Der Gebrauch des Hebräischen und Aramäischen, Überreste aus romanischen Sprachen, sowie der Kontakt mit deutschen Dialekten sind die Erklärung für die charakteristischen Züge des Jiddischen, darunter seine fusionierende Morphologie.

Seine Geschichte gliedert sich in zwei Perioden der Entstehung des Genesis- oder Proto- Jiddisch, das wiederum in zwei Epochen unterteilt werden kann, auf. Die erste entspricht der Ansiedlung von Juden im Rhein- und Moseltal Ende des 9. und 10. Jahrhunderts. Die zweite erstreckt sich von 1100 bis 1250 und ist von der Ausbreitung des jüdischen Siedlungsgebietes in die Täler des Main, des Oberrheins und der Donau gekennzeichnet. Die nächste Periode, von etwa 1250 bis 1500, entspricht dem Altjiddisch,. Später verlegt sich der Schwerpunkt jüdischer Präsenz zunehmend nach Osten, bis nach Böhmen-Mähren, Polen und Litauen. Hier kommen zu den drei bisherigen Komponenten des Jiddischen (Hebräisch-Aramäisch, romanische Sprachen und deutsche Dialekte) die slawischen Sprachen als vierte hinzu.

Das Neu-Jiddisch (Nay-Jiddisch) entsteht im Zuge eines tiefgehenden Wandels, nämlich des langsamen Rückgangs des Jiddischen in Westeuropa und seiner zunehmenden Ausbreitung in Osteuropa. Während dieser Zeit entwickeln sich eine blühende Presse, eine reiche Literatur und ein kulturelles Leben, die Jiddisch zu einer wichtigen Umgangssprache machen. Im 20. Jh. beginnt das Jiddisch seine Bedeutung für das religiöse und soziale Leben der "Schtetl"-Juden zu verlieren und wird zur Sprache des jüdischen Proletariats und einer verweltlichten Kultur. In letzter Zeit gerät die jiddische Sprache jedoch in den Mittelpunkt einer neuen Selbstfindung von Juden, die im Zwiespalt zwischen Treue zur Tradition und Anpassung an die moderne Gesellschaft stehen.

Heute, nach der Shoah, wird jiddisch weltweit nur noch wenig gesprochen. Nur in Israel und den USA sowie im ultraorthodoxen Milieu gibt es noch wenige Orte, in denen es die normale Umgangssprache ist. Jiddisch hat sich von einer lebenden Sprache zu einer Sprache der Kultur und der Nostalgie entwickelt, ein Zeichen für den Niedergang der Gesellschaft, in der sie vor der Shoah gesprochen wurde.

Die jiddische Literatur spielte vom Mittelalter bis ins 18. Jh. eine wichtige Rolle in der Erziehung und Weitergabe der Tradition (Beipiel: die Ze’enah u-Re’enah, Kommentare der Thora, Sammlung der Midrasch, die zurzeit in französischer Sprache beim Verlag Editions Verdier erhältlich ist). In der Aufklärung erlangten drei Persönlichkeiten unter ihren jüdischen Vertretern, den sogenannten Maskilim, als Gründer der modernen jiddischen Literatur besondere Bedeutung: Medele Mokher Seforim, Sholem Aleikhem und I. L. Peretz. Diese drei klassischen Autoren begründeten eine neue Literatursprache.

In dieser Zeit kristallisieren sich drei wichtige Zentren heraus, in denen eine vielfältige jiddische Presse und Literatur sowie ein lebendiges Theater entstehen.

  1. Die USA mit S. Ash, J. Opatoshu und vor allem dem Literatur-Nobelpreisträger Isaac Bashevis Singer und seinem Bruder Joshua Singer;
  2. die Sowjetunion mit Der Nister, P. Markish, D. Bergelson, I. Fefer und D. Hofstein, jedoch verschlechtern sich hier mit zunehmender Verschärfung der stalinistischen Diktatur die Bedingungen schriftstellerischer Tätigkeit, da bis 1952 die bedeutendsten jiddischen Schriftsteller ermordet werden;
  3. Polen, wo sowohl eine Bindung an das frühe Erbe Israels als auch avantgardistische Tendenzen moderner jüdischer Literatur mit O. Warshawski, A. Kaczyne, Z. Segalovitch und M. Weissenberg nebeneinander existieren. Eine der herausragenden Gestalten dieser Epoche ist I. Manger, welcher für seine Balladen und Gedichte bekannt ist.

Heute gleicht diese Sprache nur noch einer Ruine, die einige Wissenschaftler am Leben zu erhalten versuchen. Eine leider sehr pessimistische Feststellung, welcher sich auch die beiden französischsprachigen Spezialisten der jiddischen Literatur, Rachel Ertel und Régine Robin anschliessen, die meinen, dass uns nichts Anderes übrig bleibt als dieser nunmehr erloschenen Sprache und Kultur ein Requiem zu lesen.

Was unsere Region betrifft, existieren zwar noch einige jiddische Wörter und Redewendungen im Elsass und im Surbtal, aber sie sind überholt und haben nur noch anekdotischen Charakter.

Autor

Mark Elikan, 2009

Literatur

Jean Baumgarten, Rachel Ertel, Itzhok Niborski et Annette Wieworka: Mille ans de cultures ashkénazes , Liana Levi, 1998.

C Dobzynsky: Le monde yiddish, Paris, L’Harmattan, 1998.

Yitskhok Niborski et Bernard Vaisbrot avec le concours de Simon Neuberg: Dictionnaire yiddish-français, Paris, Bibl. Medem, 2002

Régine Robin: L'amour du yiddish. Ecriture juive et sentiment de la langue (1830-1930), Editions du Sorbier, Paris, 1984.

Michael Wex: Kvetch! Le yiddish ou l'art de se plaindre, Denoël, 2008.

Cécile Cerf: Regards sur la littérature yidich (Introduction consacrée à la langue yidich), Académie d'Histoire, 1974

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