Kommentar des Präsidenten
Der heute publizierte Antisemitismusbericht beschäftigt sich mit dem Jahr 2020. In diesem noch jungen Jahr 2021 wurden aber bereits vier schwerwiegende Vorfälle gezählt. SIG-Präsident Ralph Lewin zeigt in seinem Kommentar auf, dass Antisemitismus auch in der Schweiz unter der Oberfläche schwellt und das Potential hat, sich mit Taten zu manifestierten. Die jüdische Gemeinschaft ruft er zur Wachsamkeit auf, aber auch dazu, sich nicht zu verstecken und kämpferisch zu sein.
Wir verstecken uns nicht
Mit der Publikation des Antisemitismusberichts würden wir uns heute eigentlich mit den Entwicklungen im Jahr 2020 beschäftigen. Statt aber nur Rückschau zu halten, müssen wir uns leider auch bereits mit dem neuen Jahr beschäftigen. Es ist erst Februar und bereits haben wir vier schwerwiegende antisemitische Übergriffe auf jüdische Gemeinden gezählt. Im Januar erlebten wir ein Zoom-Bombing auf eine kulturelle Veranstaltung der Jüdischen Liberalen Gemeinde in Zürich. Vermummte haben die Online-Veranstaltung gekapert, antisemitische Symbole und Bilder gezeigt und damit auch den Abbruch des Treffens provoziert. Weiter sind innerhalb der letzten drei Wochen drei Synagogen Ziel von Schändungen geworden. Zuerst wurde vor der Grossen Synagoge der Communauté Israélite de Lausanne et du canton de Vaud ein Plüschschwein und eine Packung Speck deponiert. Die Eingangstür der Synagoge der Communauté Juive Libérale de Genève wurde wiederum mit mehreren Stücken Schweinefleisch beworfen. Vorläufiger Höhepunkt war letzte Woche das Verkratzen des Eingangs der Synagoge der Jüdischen Gemeinden Biel mit Hakenkreuz und bösartigen antisemitischen Sprüchen. Das ist verstörend und beunruhigend. Niemand kam zu Schaden, zum Glück. Getroffen wurden aber Versammlungen und Versammlungsorte des jüdischen Lebens in der Schweiz, Symbole unserer Identität und unserer Existenz hier in unserer Heimat.
Die Analyse des Antisemitismusberichts des letzten Jahres hat gezeigt, dass sich die Zahl der Vorfälle im Alltag und auf der Strasse wie die Jahre zuvor auf tiefem Niveau bewegt hat. Wir sehen jetzt aber auch, dass der Eindruck, dass wir in der Schweiz von solchen Übergriffen verschont bleiben, trügerisch ist. Unter der Oberfläche schwelt der Antisemitismus eben doch. Der Bericht zeigt, dass im Netz das Mass an Hassrede, Beschimpfungen und vor allem Verschwörungstheorien hoch ist. Dieses Potential ist da und es kann sich auch in realen Taten manifestierten und Folgen zeitigen. Nein, wir müssen die Situation nicht zur Krise hochstilisieren, im Moment. Wir dürfen sie aber auch nicht verharmlosen oder die Augen davor verschliessen. Auch in der Schweiz gibt es ein Antisemitismus-Problem. Das geht nicht nur unsere Gemeinschaft etwas an. Auch die Gesellschaft muss zeigen, wo sie steht. Der Staat muss dafür sorgen, dass sich jüdisches Leben in der Schweiz in möglichst grosser Sicherheit entfalten kann. Die Politik muss aktiv Wege suchen, wie Hass an seiner Wurzel gepackt und gebändigt werden kann. Die Bildungsinstitutionen müssen die Jungen erreichen und ihnen aufzeigen, warum Ausgrenzung und Ablehnung falsch ist. Sie müssen vermitteln, warum Verständnis und Toleranz für die Vielfalt in diesem Land das ist, was uns eint und weiterbringt. Wir, als Gemeinschaft, dürfen und sollen uns sorgen, wir müssen aber auch die Hoffnung hochhalten und uns nicht verstecken. Seien wir kämpferisch und wachsam.