Schoah-Weiterbildung für Lehrpersonen – Eindrücke einer Tagesreise nach Auschwitz
Mitte November haben rund siebzig Lehrpersonen das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau besucht. Die Reise ist Teil einer zweitägigen Weiterbildung zur Vermittlung der Schoah im Schulunterricht.
Es geht an diesem Morgen schon früh los in Zürich. Im ersten Teil der zweitägigen Schoah-Weiterbildung für Lehrpersonen geht die Reise für einen Tag nach Polen, zur Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau. Mehr als siebzig Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der Deutschschweiz haben sich dafür angemeldet. Die Weiterbildung wird vom SIG und der Plattform der Liberalen Juden der Schweiz PLJS in Zusammenarbeit mit der Pädagogischen Hochschule Luzern organisiert. In einer anschliessenden Praxistagung werden an der PH Luzern Methoden erarbeitet, wie die Schoah im Unterricht vermittelt werden kann.
Baracken für 1000 Menschen oder 52 Pferde
Den Morgen verbringt die Gruppe im Lager Auschwitz II, vor allem bekannt als Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Man kennt die Bilder aus Geschichtsbüchern und Filmen – das Eingangstor, die Rampe, ein Bahnwaggon und Überreste von Baracken, soweit das Auge reicht. Von den Baracken sind meist nur noch die Fundamente und die Kamine vorhanden. Es ist ein gespenstischer Anblick. Das Lager ist mit Stacheldraht eingezäunt, der das weitläufige Gelände in verschiedene Unterlager unterteilt. In regelmässigen Abständen stehen Wachtürme.
Eine Handvoll Baracken sind heute noch zugänglich. Dorota und Stefan haben die Leitung der Tour inne und führen die Gruppe in eine Schlafbaracke mit einfachen Holzpritschen, wo sie routiniert die wichtigsten Zahlen und Fakten wiedergeben: Pro Baracke waren bis zu eintausend Menschen untergebracht. In dunklen, kaum beheizten Räumen, die ursprünglich für 52 Pferde vorgesehen waren. In einer weiteren Baracke sind die spartanischen sanitären Einrichtungen zu sehen. «Die hygienischen Bedingungen waren katastrophal. Es gab viel zu wenig Latrinen, kaum Wasser und keine Seife für die Morgentoilette, wenn diese überhaupt stattfinden konnte. Wer während des Tages hier erwischt wurde, wurde bestraft», erklärt Dorota.
Gebetsschal als einziges Andenken an den Ururgrossvater
Zum Abschluss des Morgens in Auschwitz-Birkenau findet bei den Ruinen der Gaskammern und Krematorien eine kurze Gedenkzeremonie statt. Ari Hechel, Lehramtsstudent aus Zürich, erzählt der Gruppe von seinem Ururgrossvater Samuel, dessen Gebetsschal er über die Schultern trägt. Samuel ging 1943 in Marseille nur kurz zum Gebet, obwohl ihm davon abgeraten wurde. Er ist nie mehr nach Hause zurückgekehrt. Der Tallit ist alles, was der Familie von Samuel geblieben ist. Er wurde in Auschwitz umgebracht, dort, wo sich die Gruppe in diesem Moment aufhält.
Die Zeremonie endet mit dem Kaddisch, dem traditionellen jüdischen Gebet, das in Erinnerung an Verstorbene gesprochen wird, und dem Anzünden einer Gedenkkerze für die Opfer der Schoah: In Auschwitz fanden rund 1,2 Millionen Menschen den Tod, darunter eine Million Jüdinnen und Juden. Ein Grossteil der Deportierten wurde gleich bei der Ankunft ins Gas geschickt, der Rest starb an Unterernährung, Krankheiten, Misshandlung oder Zwangsarbeit.
Alltagsgegenstände erinnern an ein Leben vor der Deportation
Am Nachmittag besuchen die Lehrerinnen und Lehrer das Stammlager Auschwitz. Über dem Eingangstor hängt das berühmte Schild mit den zynischen Worten «Arbeit macht frei». Während in Auschwitz-Birkenau vor allem die Grösse des Lagers und Weitläufigkeit des Geländes eindrücklich sind, sind es hier die Hintergrundinformationen, Bilder und Gegenstände, welche die Geschichten der Deportierten und der Lebensumstände im Lager erzählen und diese historisch einordnen. Die Schaukästen mit Bergen von Schuhen, Prothesen, Kochgeschirr, Koffern, vor allem aber von menschlichem Haar erinnern ohne viele Worte, aber mit umso grösserer emotionaler Wucht, an die Männer, Frauen und Kinder, die mitten aus dem Leben gerissen wurden. Eine Galerie mit Porträts von Häftlingen in gestreifter Kleidung gibt in Block 6 den Menschen hinter diesen Gegenständen ein Gesicht, einen Namen und Lebensdaten.
Es ist schon dunkel, als die Gruppe zum Abschluss den wohl beklemmendsten Ort im Stammlager betritt: die einzige erhaltene Gaskammer mit Krematorium. Mit diesen letzten, verstörenden Eindrücken geht es für die Gruppe zurück an den Flughafen Kattowitz. Nach diesem langen und emotionalen Tag ist es ruhig im Bus. Viele sind in Gedanken versunken, andere diskutieren über ihre Erlebnisse und Erkenntnisse. Für Paolo Dettwiler von den Schulen kvBL in Liestal ist dies nicht der erste Besuch in Auschwitz. Die eigenen Erfahrungen sind für ihn ein wichtiger Mehrwert im Unterricht: «Der persönliche Eindruck fliesst permanent als Grundstimmung seitens der Lehrperson ein. Daneben stellt der Einsatz selbst gemachter Fotos eine unvergleichliche Bereicherung im Sinne eines persönlichen Bezugs zu den Lerninhalten im Unterricht dar.»
PH Luzern erarbeitet Methoden zur Vermittlung der Schoah im Unterricht
Als zweiter Teil der Weiterbildung wird eine Woche nach der Reise eine Praxistagung stattfinden, organisiert vom Institut für Fachdidaktik der Gesellschaftswissenschaften der PH Luzern. Inhalt der Tagung ist es, Wege aufzuzeigen, wie die Eindrücke der Reise nach Auschwitz in den Unterricht integriert werden können. Das Vermitteln der Schoah im Schulunterricht bringt im Gegensatz zu anderen historischen Themen spezielle Herausforderungen mit sich: «Es ist wichtig, auch die historischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten im Unterricht zu thematisieren und anzuschauen, wie es zur Schoah kam», erklärt Nick Zenzünen, Dozent an der PH Luzern. Und fügt an: «Unser Ziel ist es, den Teilnehmenden Vermittlungsangebote näher zu bringen, die über das klassische Lehrmittel hinausgehen.»
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