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Zum Auftakt der Herbstsynode der EKS fand im Berner Münster ein feierlicher Gottesdienst statt. SIG-Präsident Ralph Lewin richtete emotionale Worte an die Anwesenden

In Bern versammelten sich über das Wochenende Vertreterinnen und Vertreter der Evangelisch-Reformierten Kirche Schweiz EKS zur Herbstsynode. Unter den Gästen des Eröffnungsgottesdiensts war auch SIG-Präsident Ralph Lewin.

Am 5. November 2023 fand im Berner Münster der Eröffnungsgottesdienst der Herbstsynode der Evangelisch-Reformierten Kirche Schweiz EKS statt. Zum festlichen Auftakt war auch der SIG-Präsident Ralph Lewin eingeladen. In seinem Grusswort beschrieb er den Schock über den Terror, den die jüdische Gemeinschaft getroffen hat. Er appellierte auch daran, zusammen gegen den Terror einzustehen und ihn zu bekämpfen. Seine ganze Rede wird hier wiedergegeben.

Herbstsynode der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz EKS

Grussrede von Dr. Ralph Lewin, Präsident des SIG

Sonntag, 5. November 2023, Berner Münster

[Es gilt das gesprochene Wort.]

Sehr geehrte Frau Synodepräsidentin, liebe Synodale

Sehr geehrte Ratsmitglieder

Sehr geehrter Herr Nationalrat Nik Gugger

Werte Tagungsgäste der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen Europas

Liebe Gottesdienstbesuchende

Gestern vor vier Wochen, am Thora-Freudenfest, sind Terroristen der Hamas in Israel eingefallen. Sie haben dabei auf grausamste Weise 1400 Menschen umgebracht. Die meisten davon waren Zivilisten, darunter auch kleine Kinder. 230 Menschen wurden als Geiseln nach Gaza verschleppt. Auch darunter hat es Kinder, Frauen, Hochbetagte. Am 7. Oktober 2023 fand damit das grösste Massaker unter Jüdinnen und Juden seit dem Holocaust statt.

Es war nicht der Kollateralschaden eines Krieges, sondern das Ziel des Terrors, so viele Jüdinnen und Juden wie möglich umzubringen. Wir stehen immer noch unter Schock, wegen der entsetzlichen Taten, aber auch weil die Sicherheit Israels offensichtlich in Gefahr ist. Israel ist nach dem Holocaust auch errichtet worden als sicherer Rückzugsort für bedrohte oder diskriminierte Jüdinnen und Juden aus aller Welt. Hunderttausende kamen aus arabischen Ländern, eine Million aus der Sowjetunion und in jüngerer Zeit nicht wenige aus Frankreich, wo sie sich nicht mehr sicher fühlten. Diese Sicherheit erscheint nun auch in Israel bedroht.

Als eine der ersten befreundeten Organisationen hat uns die EKS mit einem warmen Schreiben ihr Mitgefühl, ihre Erschütterung und ihre Solidarität ausgedrückt. Das hat mich ausserordentlich gefreut. Sie hat dabei auch auf die Verbundenheit der reformierten Christinnen und Christen mit Israel hingewiesen, wie sie sich aus historisch-theologischer Perspektive ergibt.

In seiner Erklärung hat der Schweizerische Rat der Religionen das Massaker vom 7. Oktober aufs Schärfste verurteilt und darauf hingewiesen, dass diese schreckliche Tat die Spirale der Gewalt im Nahen Osten weiter antreibt.

In dieser schwierigen Zeit erleben Jüdinnen und Juden auch privat viel Mitgefühl, aber auch Gleichgültigkeit oder gar Zurückweisung. Ich erlebe, dass sich manche, vermeintlich gute Freunde, wochenlang gar nicht melden, vielleicht weil sie ein «Ja, aber» auf der Zunge hätten und nicht in der Lage sind, einfach ihre Erschütterung über einen solchen Zivilisationsbruch ohne Wenn und Aber zu zeigen. Dafür melden sich Menschen, die man seit dreissig oder vierzig Jahren nicht mehr gesehen hat mit persönlichsten Zeichen der Betroffenheit und Anteilnahme.

Ja, wir lernen gerade viel über unsere Mitmenschen.

Hamas und alle Welt wussten, dass Israel auf einen so grauenhaften Angriff massiv reagieren würde, ja reagieren musste. Nach diesem durch nichts zu rechtfertigenden Massaker die andere Backe hinzuhalten, war keine Option, so unschön es ist, dies in einer Kirche auszusprechen.

Hamas hat genau 50 Jahre nach dem Jom-Kippur Krieg einen weiteren schlimmen Krieg ausgelöst, den Israel auch diesmal nicht wollte. Israel ist gegen Hamas im Krieg, nicht gegen die Palästinenser. Aber Hamas mit ihren Tunnels und ihren militärischen Einrichtungen in zivilen Gebäuden und den 230 entführten Geiseln macht diese Kriegsführung zu einem Albtraum: für die politische und militärische Führung Israels, aber auch für die Zivilbevölkerung von Gaza. Auch sie sind Geiseln der Hamas.

Die Bilder des Krieges sind kaum zu ertragen, und alle zivilen Opfer dieses Krieges schmerzen mich zutiefst. Ich bin überzeugt, dass Israel kein Interesse an unnötigen Zivilopfern hat. Israel ist auch verpflichtet, das erklärte militärische Ziel - Ausschaltung der Hamas - mit möglichst wenig zivilen Opfern zu erreichen, so schwierig das ist.

Immer wenn Konflikte in Israel eskalieren, nimmt im Ausland der Antisemitismus zu. Auch in der Schweiz. Seit dem 7. Oktober häufen sich die Vorfälle in den verschiedenen Teilen des Landes, wie wir das schon lange nicht mehr erlebt haben. So gab es mehrere Tätlichkeiten und viele Beschimpfungen auf der Strasse und in öffentlichen Verkehrsmitteln gegen Jüdinnen und Juden. Der SIG und jüdische Gemeinden erhalten E-Mails und Briefe mit schlimmstem Judenhass und Todesdrohungen. Und Sprayereien wie «Tod den Juden» und «Danke Hamas» finden sich auf Wänden in verschiedenen Städten der Schweiz.

Juden werden für den Krieg und das Schicksal von Gaza verantwortlich gemacht. Dass Israel den Gaza-Streifen 2005 gegen den Widerstand von 1500 Siedlern geräumt hat, weiss kaum jemand. Auf Postern an Demonstrationen steht «From the river to the sea - Palestine will be free». Das heisst nichts anderes, als dass Israel und seiner Bevölkerung das Existenzrecht abgesprochen wird, wie es in der Hamas Charta steht und wie es der Iran anstrebt. Manchmal muss man den Verlautbarungen glauben.

Die Politik scheint das Problem des zunehmenden Antisemitismus erkannt zu haben. Wir hoffen, dass die parlamentarische Forderung, eine Strategie gegen Antisemitismus zu entwickeln, vom Bundesrat nicht mehr wie bisher abgelehnt wird. Antisemitismus ist nicht ein Problem der Juden, sondern der Gesellschaft, und es braucht dagegen griffige Massnahmen. Es darf für Antisemitismus hier keinen Platz geben, haben diese Woche viele Politikerinnen und Politiker betont.

Es ist sehr wichtig, dass der Konflikt zwischen Israel und der Hamas nicht weiter auf die Schweiz übergreift. Weder haben Jüdinnen und Juden hier einen Einfluss auf das Geschehen in Israel, noch haben Schweizer Muslime etwas zu tun mit der Hamas. Auch sind Islam und Islamismus unbedingt à priori zu unterscheiden.

Wir sind in der Schweiz zu Recht stolz auf das meistens gesittete Zusammenleben zwischen Angehörigen unterschiedlichster Ethnien, Nationalitäten und Religionsgemeinschaften. Da heben wir uns – noch - positiv vom Umfeld ab. Dazu trägt die Kleinteiligkeit der Schweiz bei. Wir haben keine riesigen Vorstadtsiedlungen mit zahlreichen arbeitslosen Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Unsere Sozialleistungen sind vergleichsweise gut ausgebaut und ermöglichen eine Teilhabe am sozialen Leben. Und ich meine, wir legen in der Schweiz auch grossen Wert auf religiösen Frieden.

So gibt es in vielen Städten Runde Tische der Religionen, in Bern sogar das Haus der Religionen. Auf gesamtschweizerischer Ebene schätze ich die Begegnungen mit den abrahamitischen Religionen im Rat der Religionen sehr. Gerade in Konfliktsituationen wie dieser ist es so wichtig, dass man einen persönlichen Draht zueinander hat. Das gilt gerade auch zwischen der jüdischen und muslimischen Gemeinschaft. Ich hoffe, dass die heute publik gewordenen Probleme bei IRAS COTIS gelöst werden können. Der interreligiöse Dialog ist uns wichtig, er muss aber auf einer vertrauensvollen Basis beruhen.

Leider sind nach dem durch die Gräuel der Hamas ausgelösten Krieg die Chancen für eine friedliche Lösung des Palästina-Konflikts nicht gestiegen. Trotzdem darf man die Hoffnung nicht aufgeben, auch nicht auf die Zweistaatenlösung. Vielleicht wächst irgendwann die Einsicht, dass dauerhafte Sicherheit eine friedliche Lösung voraussetzt. Die dazu bereiten Kräfte müssen gestärkt werden. Dass es im ganz Kleinen geht, hat die «Rundschau» im Schweizer Fernsehen letzte Woche als kleinen Lichtblick gezeigt: Ein jüdischer Israeli und ein Palästinenser betreiben in Berlin gemeinsam ein nahöstliches Restaurant, in dem jeder die Spezialitäten seiner Mutter kocht. Man könnte es so schön haben, wenn man wollte… Manchmal träume ich davon.

Ich bedanke mich herzlich für die Gelegenheit zu diesem Grusswort und wünsche Ihnen eine erfolgreiche Herbstsynode.

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