Antisemitismus
Antisemitismus als Ablehnung, Ausgrenzung und Hass gegenüber Jüdinnen und Juden zeigt sich in vielen unterschiedlichen Formen. Darauf Einfluss haben jeweils aktuelle gesellschaftliche Vorstellungen und Entwicklungen.
Antisemitismus existiert seit rund 2000 Jahren. Im Laufe der Geschichte hat er sich in seiner Ausprägung immer wieder gewandelt. Dabei wird er immer wieder der jeweils zeitgenössischen Gesellschaft und ihren Normen und Herausforderungen angepasst. Um die verschiedenen Formen des Antisemitismus zu verstehen und ihn wirksam und möglichst präventiv bekämpfen zu können, muss man die Geschichte des Antisemitismus und seine Ursachen kennen. Auch heutige antisemitische Vorurteile beziehen sich oftmals auf längst vergangene Geschehnisse und jahrhundertealte Geschichten. Der SIG ist sich dies in seiner Arbeit in der Analyse, der Prävention und der Bekämpfung von Antisemitismus bewusst und lässt sich davon entsprechend leiten.
Vom Antijudaismus zum klassischen Antisemitismus
Eine der ältesten Formen ist der sogenannte Antijudaismus. Dieser war vor allem religiös begründet und wurde insbesondere durch die Kirchen und christlichen Herrscher forciert. Der Antijudaismus führte vor allem im Mittelalter immer wieder zu Pogromen, in deren Verlauf oft jüdische Gemeinden vernichtet und deren Mitglieder ermordet oder vertrieben wurden. Der Hauptvorwurf an die Jüdinnen und Juden im Mittelalter war insbesondere der sogenannte «Christusmord». Weiter wurde ihnen vorgeworfen, dass sie zu Pessach christliche Kinder schlachten würden und dass sie für die Verbreitung der Pest verantwortlich seien. Auch die diskriminierenden Gesetze des Mittelalters führten zu Vorurteilen gegenüber jüdischen Menschen, die bis heute bestehen. So durften sie keinen Zünften beitreten und konnten somit kein Handwerk ausüben. Auch durften sie kein Land besitzen, wodurch ihnen die Landwirtschaft als Tätigkeit versagt blieb. Somit blieben nur der Handel, das Hausieren und das Geldgeschäft. Letzteres sollten Christen wiederum nicht ausüben, da es ihnen untersagt war, Geld gegen Zinsen zu verleihen. Diese erzwungene Limitierung auf bestimmte Berufe findet bis heute Nachhall in antisemitischen Vorurteilen: Jüdinnen und Juden seien aus Geldgier nur im Handel und im Geldverleih tätig und würden keine «ehrlichen Berufe» ausüben.
Vom Rassenwahn zu neuen subtileren Formen des Antisemitismus
Im Verlaufe des 19. Jahrhunderts verlor der religiös begründete Antijudaismus an Bedeutung, dafür kam der rassisch begründete Antisemitismus auf. Das Judentum wurde nun nicht mehr nur als Religion angesehen, sondern als «Rasse» etikettiert. Das passte in diese Zeit, in der Menschen in «bessere» und «schlechtere» Rassen eingeteilt wurden. Jüdischen Menschen waren nach dieser pseudowissenschaftlichen Herleitung eine minderwertige Rasse, die sich parasitär in die europäischen Völker einnistete. Dieses Gedankengut führte schliesslich unter dem Nationalsozialismus zum traurigen Höhepunkt des modernen Antisemitismus, der Ermordung von sechs Millionen Jüdinnen und Juden während der Schoah, dem Holocaust.
Nach diesem Fanal und dem Ende des Zweiten Weltkriegs verschwand der Antisemitismus nicht. Er wurde lediglich weniger salonfähig und nicht mehr derart offen und breit artikuliert, wie noch in der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er schwellte aber weiterhin unter der Oberfläche. Mit der Gründung des Staates Israel 1948 entstand eine weitere Ausprägung: der israelbezogene Antisemitismus. Diese Form zeigt sich, wenn beispielsweise antisemitische Stereotype auf Israel und Israelis bezogen werden, wenn an Israel andere Standards als an andere Staaten angelegt werden oder wenn kein Unterschied zwischen jüdischen Menschen und Israelis gemacht wird.
Verschwörungstheorien als Konstante
Über die Jahrhunderte haben antisemitische Verschwörungstheorien immerwährend Zuspruch erhalten. In ihrem Kern verweisen diese in der Regel auf eine angebliche «jüdische Weltverschwörung». Den Jüdinnen und Juden wird in diesen abstrusen Theorien die Verantwortung für ein breites Spektrum an negativen oder merkwürdigen Umständen oder Ereignissen zugeschrieben. So sollen sie die Medien steuern, ebenso die grossen Firmen und die Politik. Das langfristige Ziel sei die Weltherrschaft. Dabei offenbart sich ein widersprüchlicher Aspekt des Antisemitismus: Einerseits werden jüdische Menschen als minderwertige und schwache Gruppe beschrieben, andererseits seien sie aber wiederum fähig, Kontrolle und Macht auszuüben.
Gerade im Umfeld von Verschwörungstheorien ist Antisemitismus nicht immer als solcher erkennbar. Sehr oft werden indes Codes benutzt – auch darum, weil offensichtlicher Antisemitismus in grossen Teilen der Gesellschaft verpönt ist. Anstatt von «den Juden» spricht man von «Rothschild», «Globalisten», «Zionisten» oder «Finanzelite». Auch beim israelbezogenen Antisemitismus ist eine Unterscheidung zwischen legitimer Kritik an der Politik Israels und Antisemitismus oftmals schwierig. Eine gute Hilfe bei der Einschätzung liefert die Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance IHRA. Mit dieser Definition arbeitet auch der SIG bei der Erstellung des Antisemitismusberichts für die Deutschschweiz.
Mehr Wissen führt zu weniger Vorurteilen
Für den SIG stellen die Bekämpfung von Antisemitismus und die Prävention davor Kernaufgaben seiner Verbandstätigkeit dar. Er setzt hier vor allem auf Information, Aufklärung und Dialog. Meistens entstehen Vorurteile durch fehlendes Wissen. Gerade bei jüngeren Menschen können Wissen über und der direkte Kontakt mit jüdischen Menschen der Entstehung von antisemitischen Vorurteilen und Vorstellungen vorbeugen und diese ausbremsen. Strafrechtlich gibt es mit der Rassismusstrafnorm (Art. 261bis StGB) seit 1994 ein Instrument, um öffentlichen Antisemitismus und Rassismus durch die Justiz verfolgen zu können.